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Kinder der Dunkelheit

Kinder der Dunkelheit

Titel: Kinder der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Ketterl
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zeigte ihr ein müdes, aber entschlossenes Gesicht, traurige Augen sahen sie an. Das musste sich schnell ändern! Sie kämmte ihr langes Haar, ein Hauch ihres speziellen Lieblingsduftes durfte es ebenfalls noch sein. Das aber musste reichen, es gab ja niemanden, für den sie hätte schön sein müssen oder hätte schön sein wollen. Als sie hinaus in die venezianische Winternacht trat, fühlte sie sich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder frei und fast schon unbeschwert.
     
    Luca verließ das antike Theatro und schnupperte genüsslich in die Nacht. Er mochte den Winter in Venedig, er mochte ihn wirklich. Dann war es hier endlich ruhiger, die Nächte hatten auch bei Regen und Kälte etwas Märchenhaftes und waren voller Geräusche, die man im Sommer, wenn zahllose Touristen die Stadt bevölkerten, gar nicht mehr hören konnte.
    Das Wasser der Kanäle schlug schwer gegen die Pfeiler und gluckerte fröhlich in irgendwelchen Hohlräumen unter der kleinen Brücke, die er überquerte. Er blieb stehen, lehnte sich gegen das marmorne Geländer und ließ seinen Blick über den selbst jetzt noch von Booten befahrenen Canal Grande schweifen. Wie sehr er die Magie seiner Stadt liebte! Er war Raffaele dankbarer denn je, dass er ihn vor so vielen Jahren hergeholt hatte. Der allgegenwärtige Zauber kam seiner, wenn auch gut verborgenen, romantischen Ader schon sehr entgegen. Das Theaterstück, das er gerade gesehen hatte, schwang noch in ihm nach. Shakespeares „Ein Mittsommernachtstraum “ in einer – endlich wieder – alten und somit glaubwürdigen Inszenierung! Er verabscheute die modernen Aufführungen der heutigen Zeit.
    Zwei junge Mädchen – wenn er richtig gehört hatte, amerikanische Touristinnen – gingen kichernd an ihm vorbei. Immer wieder sahen sie neugierig zu ihm herüber, verlangsamten extra ihre Schritte, um ihn genauer ansehen zu können. Er war sich seiner Wirkung auf fast alle weiblichen Wesen nach den langen Jahren nur zu gut bewusst: mit seiner Größe, einem Körper wie ein griechischer Gott (behauptete zumindest Raffaele), dem langen schwarzen Haar und einem Gesicht, so ebenmäßig und schön, dass es ihn dummerweise vor langer Zeit das Leben gekostet hatte.
    Ein maliziöses Lächeln kräuselte seine vollen Lippen, wenn er daran dachte, was vor so langer Zeit geschehen war. Das entsetzte Gesicht Don Ricardos war auf ewig in sein Gedächtnis gegraben. Eher als tragisch empfand er nach wie vor die Tatsache, dass dieser mitten in dem „Gespräch“ tot zusammengebrochen war. Er fand das noch heute sehr bedauer-lich. Zu gern hätte er mit dem Don noch länger über Leben und Tod gefachsimpelt.
    Luca richtete sich mit einem leisen Seufzen wieder auf. Er zog den schwarzen Brokatmantel enger um sich und warf sein Haar mit elegantem Schwung nach hinten. Zumindest musste er den beiden schmachtenden Mädchen, die wenige Schritte von ihm entfernt ebenfalls stehen geblieben waren und höchst unauffällig die Gegend betrachteten, eine kleine Show bieten. Kurz überlegte er, ob er sie ansprechen sollte. Sie wären willige Gefährtinnen für eine Nacht und würden seinen Hunger, sowohl im wörtlichen Sinne als auch den nach körperlicher Nähe, sicherlich stillen. Doch ihm war heute nicht nach oberflächlichem Geplänkel. Sie würden seine Einsamkeit nur eine Weile überbrücken können, so wie es auch die bezaubernde Roberta getan hatte. Ihm war en dlich wieder nach einer Frau wie Ana! Noch heute empfand er es als Privileg, für diese wundervolle Frau gestorben zu sein. Dass sie sich nach seiner Ermordung das Leben genommen hatte, stürzte ihn für lange Zeit in tiefe Verzweiflung. Als er das erste Mal „Romeo und Julia“ gelesen hatte, war er kurzzeitig versucht gewesen, sich selbst darin zu sehen. Aber das war Unsinn – er lebte und er musste sich eingestehen: Dieses Leben war gar nicht übel. Er lächelte die beiden Mädchen geheimnisvoll an, als er an ihnen vorüberging, und wusste, dass er sich damit einen Platz in ihren Träumen gesichert hatte.
    Nachdenklich strich er durch die ruhige, kalte Stadt. Tief atm ete er die salzige Luft ein. Etwas war anders heute, etwas war nahe, das sein Blut schneller kreisen ließ, ihn elektrisierte. Er schloss die Augen und ließ seinen ausgeprägten Instinkten freien Lauf. Unvermittelt fand er sich im Studentenviertel wieder, in welchem das Leben, selbst jetzt im Winter, nie zum Erliegen kam. In ihre Mäntel und Jacken gewickelt, standen die jungen Leute, jeglicher

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