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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Prinzipalin gestohlen hat.«
    »Esebian«, sagte Tahlon.
    »So lautet sein Name. Er wurde gesehen. Die Augen der Stadt haben ihn beobachtet.«
    »Wenn die Augen der Stadt ihn beobachtet haben, Jere Eins … Die Prinzipalinnen hätten seine Verhaftung anordnen können. Sie wissen, dass das Direktoriat ihn sucht.«
    Jere Eins hob den Stabkopf, und ihre sieben schwarzen Knopfaugen reflektierten das Licht eines nahen Scheinwerfers. »Dies ist Gevedon, Präfekt. Der Mensch namens Esebian hat sich hier nichts zuschulden kommen lassen.«
    »Er hat eine Ihrer Barken gestohlen.«
    »Das war hier nicht bekannt.«
    Jere Eins wankte in den Tunnel hinein, und Tahlon musste sich bücken, um den Durchgang zu passieren. Weiter vorn folgte Ranidi den Ermittlern der Enha-Entalen in einen der Räume, die noch vor einigen Stunden Teil einer Wohnzelle gewesen waren. Die Explosion hatte Wände zerschmettert, Rosenquarz und Kalk pulverisiert und Stahlkomposit eingedrückt. Wenn es nur dabei geblieben wäre, hätte es vermutlich mehr Überlebende gegeben, denn die Enha-Entalen waren trotz ihres fragilen Erscheinungsbilds sehr widerstandsfähig. Aber an diesem Ort hatte sich nicht nur die zerstörerische Kraft einer Explosion ausgewirkt. Buchstäblich aus dem Nichts waren andere Räume mit Wänden, Decken und Böden erschienen und hatten versucht, den gleichen Platz einzunehmen wie die betroffenen Wohnzellen. Das Ergebnis bestand aus atomarer Dekomposition und spontaner Materiestreuung. An manchen Stellen lag meterhoch Staub, so fein, dass er sich fast wie eine Flüssigkeit verhielt. An anderen wirkten Objekte und Strukturen wie miteinander verschmolzen. Tahlon bemerkte eine Tür, die schräg durch eine massive Wand ragte, und in der Tür steckte ein toter Enha-Entalen. Zwei Assistenten von Jere Eins – die offenbar einen recht hohen Rang bekleidete und die Leitung der Ermittlungen übernommen hatte – besprühten den Toten mit einer Substanz, die seine weichen Teile innerhalb weniger Sekunden dehydrierte; anschließend zerlegten sie ihn.
    Jere Eins senkte Kopf und Fühler in einer Geste des Respekts. »Was nicht zu Staub zerfiel, was geborgen und identifiziert werden kann, soll den Weg der Rückkehr gehen dürfen«, knarrte sie.
    Tahlon kannte die wichtigsten Traditionen der Enha-Entalen. Am Abend dieses Tages würde auf einem der dreizehn Tafelberge ein großes Feuer brennen und die Reste der hier ums Leben gekommenen Enha-Entalen aufnehmen, und zwar in einer bestimmten Reihenfolge: zuerst die Beine, dann Arme und Rumpf, anschließend der Kopf und zuletzt die Fühler. »Sie sollen Teil des Lichts sein, das auf die Stadt fällt, in der sie gelebt haben. Und ihre Moleküle sollen mit dem Rauch aufsteigen und sich mit der Luft dieser Welt vereinen. So existieren sie weiter: im Atem der Lebenden, wie ihre Vorfahren und deren Ahnen, wie die ersten Enha-Entalen, die sich auf dieser Welt niederließen und hier starben. Und während die Toten brennen, wird man die Geschichte ihres Lebens erzählen.«
    Jere Eins neigte ihm den Kopf zu. »Sie erweisen mir doppelte Ehre, Präfekt. Ich höre Respekt in Ihrer Stimme, und das freut mich umso mehr, da er von einem Menschen kommt, der versucht, den Tod zu besiegen. Was sind Sie? Konsul? Resident?«
    »Esebian ist Konsul«, sagte Tahlon. »Ich bin Resident.«
    Jere Eins hob eine ihrer vorderen Gliedmaßen. »Der Mann, der hier lebte, der Maschinenmensch, der sich Lukas nannte … Auch er klammerte sich ans Leben. Mithilfe eines Symbionten, der ihn innerlich auffraß.«
    Sie erreichten einen Raum, in dem offenbar Vitrinen und transparente Behälter gestanden hatten. Ihre Reste wiesen deutlich darauf hin, welche Gegenstände hier ausgestellt und gelagert gewesen waren. Tahlon justierte den dünnen Individualschild, der ihn schützte und dessen vages Flimmern ihn wie eine zweite Haut umgab, zwängte sich durch die schmale Lücke vor ihnen und betrat den Raum. Mehrere Enha-Entalen, die leichtere Versionen von Jere Eins' Körperpanzer trugen, untersuchten die zertrümmerten Objekte. Ihre knarrenden Stimmen vermischten sich mit dem Summen eines schlangenartigen Sniffers, der wie hungrig umherkroch und nach Biosignaturen suchte. Es war ein autonomer Apparat, einer von Dutzenden, die ihre Daten erst später in den Informationspool übertragen würden, den ein Elaborator verwaltete, der direkt mit den Magistern verbunden war, wie Tahlon festgestellt hatte.
    Jere Eins sprach kurz mit den Ermittlern, stakste dann

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