Kinder der Ewigkeit
dann stellte er erstaunt fest, dass sie schwiegen – nicht einmal ein wortloses Flüstern kam von ihnen. Caleb?, dachte er. Talanna? Keine Antwort. Er wollte die Namen der anderen nennen, die er einmal gewesen war, vor vielen Jahren, aber sie fielen ihm nicht ein. Wo sie gewesen waren – zusammen mit vielen anderen, sonst immer präsenten Erinnerungen –, erstreckte sich ein Nebel der Benommenheit, durchdrungen von der sanften friedlichen Musik des Lebens. Es war so leicht, sich ihr hinzugeben und die Gedanken einfach treiben zu lassen …
Solche Melodien hatte es nie zuvor gegeben. Die Musik der vier die DNS codierenden Basen … Sie hatte bei den anderen Behandlungen nicht existiert, das wusste Esebian plötzlich mit absoluter Gewissheit. Etwas suggerierte ihm entsprechende Vorstellungen, versprach ihm sichere Geborgenheit, stellte ihm eine erfolgreiche Therapie in Aussicht, obwohl in Wirklichkeit überhaupt keine Therapie stattfand. Der Gedanke, dass er die Details der lebensverlängernden Behandlung in ein externes Gedächtnis ausgelagert hatte, offenbarte ihm plötzlich seine ganze Absurdität. Wie konnte man etwas vergessen – oder in Speichermodulen ablegen –, das wie in seinem Fall über mehr als zwei Jahrhunderte hinweg das Leben maßgeblich beeinflusst und bestimmt hatte?
Die Falle war zugeschnappt, begriff Esebian, und er steckte mittendrin.
Er brauchte vier oder fünf Sekunden, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen – so dicht war der Nebel der Benommenheit geworden. Dann griff er auf die noch aktive Komponente seiner Verteidigungssysteme zu, erklärte einen Notfall und versuchte, alle Erweiterungen zu reaktivieren.
Für einen Moment erweiterten sich seine Sinne, und er hörte die Stimmen mehrerer Personen – sie arbeiteten in einem Nebenzimmer an Geräten, die mit ihm in Verbindung standen. Außerdem vernahm er das Knistern und Zischen von elektromagnetischen Signalen und bemerkte, dass einige von ihnen einem Neuroprozessor galten, der biomechanische Wurzeln durch seine Nackenhaut gebohrt und mit dem Rückenmark verbunden hatte.
Doch die Stimmen der Personen im Nebenzimmer verloren sich schnell in einem diffusen Rauschen, das auch die EM-Signale aufnahm. Die Welt von Esebians Wahrnehmung war nur wenig größer geworden, schrumpfte erneut auf die Grenzen der gewöhnlichen Sinne, und wurde noch kleiner, als sich die Benommenheit ausdehnte. Der Neuroprozessor schickte sich an, sein Bewusstsein zu neutralisieren.
Das durfte nicht geschehen – es hätte völlige Hilflosigkeit bedeutet.
Helft mir!, rief er in den mentalen Dunst. Ich brauche eure Hilfe!
Es blieb still in seinem Innern; nirgends flüsterte oder raunte es.
Das Gesicht des Fürsorgers erschien über ihm, und diesmal lächelte es nicht. »Bemerkenswert«, sagte der Mann. »Er ist noch immer wach.«
»Ich kann nicht länger warten«, erwiderte jemand. »Wir müssen ihn jetzt transferieren.«
Die zweite Stimme klang vertraut. Esebian versuchte, sich daran zu erinnern, wo er sie schon einmal gehört hatte, und gleichzeitig konzentrierte er sich auf die zwölf Konverterzellen in seinen Eingeweiden. Wenn es ihm gelang, ihre Energie in die Kommunikationserweiterungen zu leiten … Die Stimme hatte einen Transfer erwähnt, und die privatversiegelte Tasche seines Umhangs enthielt noch immer den grauschwarzen Kasten, den er am Abend des vergangenen Tages durch ein Kom-Modul erweitert hatte. Die Frequenzen waren aufeinander abgestimmt; ein Signal genügte, um die Transitweiche aktiv werden zu lassen.
Die friedliche innere Musik erklang noch immer, ein sanfter, verlockender Sirenengesang, der den Nebel durchdrang, Gedanken anlockte und sie in ein Netz der Benommenheit spann.
Esebian blinzelte. Er glaubte, die Augen nur ganz kurz zu schließen, aber als die Lider wieder nach oben kamen, schwebte ein anderes Gesicht über ihm, und er erkannte es sofort.
»Sie …«, brachte er hervor.
»Ja«, sagte Titus Magobb. »So schwach wie Sie sind, nur Tage oder höchstens Wochen von einem Grauen entfernt … Sie hätten längst bewusstlos sein müssen.«
Eine Hand erschien in Esebians Blickfeld und tastete nach dem Neuroprozessor.
»Sie verdammter …«
»Was? Verräter? Sie sind ein Mörder, und Sie haben nicht nur einmal getötet, sondern viele Male. Für Meriten. Um eines Tages unsterblich zu werden. Purer Egoismus, Esebian. Sie haben gemordet und nur an sich gedacht. Mir geht es um Aurora. Wer von uns beiden ist der Verdammte? Der Egoist,
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