Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
zum anderen war die Magisterdrohne wieder da. Sie fokussierte das Kraftfeld des Transferitors auf Tahlon.
    Zu spät.
    Das aus dem Wurmloch kommende Flackern traf die Beschleunigungsschiene mit dem toten Wesen, das auseinanderplatzte wie eine überreife Frucht. Tahlon sah es wie in Zeitlupe, denn seine aktiven Erweiterungen hatten automatisch in den Notfallmodus umgeschaltet, der ihm besonders schnelle Reaktionen ermöglichte. Aber was auch immer er in dieser Situation getan hätte, es wäre nicht schnell genug gewesen. Der ganze Filigranport erbebte, und eine gewaltige Explosion gleißte gespenstisch lautlos im Vakuum. Ihre energetische Druckwelle fegte die Magisterdrohne fort, und der Transferitorfokus erfasste nicht etwa den Präfekten und Hochkommissar des Direktoriats, sondern ein davongewirbeltes Trümmerstück.
    Etwas brannte durch Tahlons Leib, und mit entsetzter Ungläubigkeit sah er sich der Erkenntnis gegenüber, dass ihn nur einen Schritt von der Unsterblichkeit entfernt der Tod ereilte.

 
13
     
    Ein grauer Himmel hing schwer über einer öden, staubigen Welt. Kalter Wind wehte mit verhöhnend klingendem Flüstern. Farben fehlten, stellte Akir Tahlon fest, als er sich umsah. Grau beherrschte diese Welt; es regierte monochrome Düsternis.
    »Dies soll deine Aufgabe sein«, sagte eine Gestalt, die vor ihm aus einem Staubwirbel trat. Tahlon blinzelte und versuchte, Einzelheiten zu erkennen, aber wenn er den Blick auf die Gestalt richtete, verschwammen ihre Umrisse. Der Fremde war groß, fast zwei Meter, und trug einen pechschwarzen Mantel. Die Kapuze schien nur Schatten zu enthalten.
    Tahlon starrte auf seine Hände hinab. Sie sahen normal aus; Fleisch und Haut bedeckten die Knochen. Und doch …
    »Bist du der Tod?«, fragte er und fürchtete die Antwort.
    Doch die Gestalt antwortete nicht. Stattdessen sagte sie: »Schaff hier Ordnung.« Der Fremde deutete zu einer etwa hundert Quadratmeter großen Fläche, auf der Abertausende von kleinen weißen Stäben lagen. Tahlon erkannte sofort, dass sie ein Muster bilden sollten – seine Vorstellungskraft zeigte es ihm in aller Deutlichkeit –, aber etwas, vielleicht der Wind, hatte alles durcheinandergebracht. Sein Blick kehrte zu der dunklen Gestalt zurück, und er versuchte, die visuellen Erweiterungen zu aktivieren. Doch wo sie sich vorher befunden hatten, war nun alles leer. Allein mit den gewöhnlichen Sinnen fühlte er sich wie amputiert.
    »Ist dies … das Jenseits?«, fragte er.
    Die Gestalt trat einen Schritt näher, und unter der Kapuze blieb alles dunkel. »Suchst du das, was viele vor dir die Hölle nannten?« Der Fremde streckte den Arm aus. »Die wahre Hölle befindet sich dort.«
    Tahlon drehte sich um. Wo vorher nichts weiter als ödes Land gewesen war, eine graue Wüste bis zum Horizont, ragte jetzt ein Vulkanberg auf, an dessen Hängen fleißige Hände Terrassenfelder angelegt hatte. Menschen arbeiteten dort, mehr als er zählen konnte.
    »Die wahre Hölle?«, fragte er.
    »Immerzu schuften sie, tagein, tagaus«, sagte die dunkle Gestalt. »Und die Früchte ihrer Schufterei reichen gerade aus, um sie zu ernähren. Schließlich werden sie alt und krank und sterben, aber damit sind sie nicht erlöst, denn sie werden wiedergeboren, und dann beginnt alles von vorn. Das ist die wahre Hölle: immer wieder arbeiten und sterben zu müssen, ohne eine Wahl zu haben.«
    Der Fremde verschwand, und er nahm das spöttische Flüstern mit – plötzlich war es windstill.
    Akir Tahlon, der seit seiner Kindheit nichts mehr verabscheute als Unordnung und Chaos, machte sich daran, Ordnung ins Durcheinander der weißen Stäbchen zu bringen. Er hatte weder Hunger noch Durst, als er arbeitete, und er hielt nicht inne, als es dunkel wurde. Die ganze Nacht arbeitete er und ordnete die Stäbchen nach den Mustern, die er so deutlich vor dem inneren Auge sah. Drei graue Tage und drei dunkle Nächte nahm er ein Stäbchen nach dem anderen und rückte es an den richtigen Platz, wie die Steine in El'Kalentars Garten. Als das Zwielicht des vierten Tages begann, vervollständigte er die letzten Muster, wich stolz zurück und fühlte die Müdigkeit schwer auf Körper und Geist. Doch als er sich in den Staub legen und die Augen schließen wollte, kam Wind auf, fegte über die vielen weißen Stäbchen hinweg und brachte sie erneut durcheinander – nicht eines blieb an seinem Platz liegen.
    Da sprang Tahlon auf, von Wut gepackt, und rief: »Habe ich denn drei Tage und drei

Weitere Kostenlose Bücher