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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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während der skorpionartige Enha-Entalen mit seinen vorderen Gliedmaßen winkte und ihr geduldig die Besonderheiten der Stadt erklärte.
    »Deine Sensoren sind überall«, sagte Esebian und lächelte.
    »In einem Umkreis von fünf Kilometern, ja. Dahinter ist mein Sicherheitsschirm etwas löchriger. Sie sieht nicht nur jung aus, sie ist es auch. Sehr jung, Caleb. Ich meine … Esebian. Je älter die Männer, desto jünger ihre Frauen.«
    Esebian sah ihm sein meckerndes Lachen nach. Lukas' Humor konnte recht skurrile Züge gewinnen, und Caleb hatte vor langer Zeit gelernt, ihn hinzunehmen.
    »Sie ist nicht meine Frau«, sagte er. »Ich habe dafür gesorgt, dass sie sich die Stadt ansehen kann, während wir …«
    »Ja, während wir miteinander ins Geschäft kommen.« Lukas klatschte in die Hände. »Wie in alten Zeiten!«
    Er drehte sich um, und seine summenden und leise klickenden Metallbeine trugen ihn an den Regalen und Vitrinen vorbei zum rückwärtigen Teil des Ladens. Lukas war inzwischen fünfhundert Jahre alt, und vermutlich blieben ihm noch einmal fünfhundert, bis das, was von seinem einstigen Körper übrig war, endgültig zu einem Grauen wurde. Vor fast zweihundert Jahren war er an der letzten Hürde gescheitert und hatte es als Resident nicht geschafft, genug Meriten für den Sprung zum Erlauchten zusammenzubringen. Nach acht Therapien hätte er bei einem Identitätstransfer erhebliche Bewusstseinsschäden riskiert, und deshalb hatte er beschlossen, einen speziellen Symbionten aufzunehmen. Der Wurm gab ihm zusätzliches Leben, bis zu sieben- oder achthundert Jahre, aber er zerfraß ihn langsam, und schließlich würde nur das Gehirn übrig bleiben, das er in seinem Rumpf trug, das Gehirn eines Grauen. Esebian wusste: Ein Kunde hatte ihn damals betrogen und ihm nicht die versprochenen Meriten überschrieben, was Lukas die Unsterblichkeit gekostet hatte – und den Kunden einige Jahre später sein Leben.
    An der Rückwand des Ladens, von zwei Punktlampen erhellt, erstreckte sich ein großes Kunstwerk der Enha-Entalen, das an eine Blume mit fein ziselierten Blütenblättern erinnerte. Silbrig und messinggelb glänzendes Metall bildete den Stängel, und die Blüten bestanden aus Tausenden von bunten Glasfragmenten, jedes von ihnen zu einem Prisma geschliffen. So massiv die Wand auch wirkte – ein langer Schritt brachte Lukas hindurch. Esebian folgte ihm und spürte nicht mehr Widerstand als bei leerer Luft – ein Formspeicher wahrte zwar den äußeren Schein, nicht aber die innere Struktur. Die Wand mit der großen Blume bildete eine sichtbare Barriere; hinzu kamen drei weitere, die erheblich subtilerer Natur waren und mit diversen Sicherheitssystemen in Verbindung standen – Esebian nahm sie mit einer Erweiterung wahr, die von Lukas stammte.
    Vor ihm führte ein dämmriger Korridor unmöglich weit an Dutzenden von Türen vorbei.
    »Der Flur ist noch länger als beim letzten Mal«, sagte Esebian, als Calebs Erinnerungen in ihm wach wurden. »Und es sind mehr Zimmer. Deine Geschäfte gehen gut.«
    »Ich kann nicht klagen«, erwiderte Lukas. »Es gibt immer Konflikte, große und kleine, offene und versteckte. Und das Netzwerk wächst. Aurora gewinnt an vielen Orten neue Freunde.«
    Aurora, dachte Esebian. Wie lange hatte er diesen Namen nicht mehr gehört? Aurora hatte Ayanne, die Zwillinge und ihn damals nach Dannacker geschickt …
    »Kannst du mir auch diesmal helfen?«
    »Ich denke schon. Die Angaben, die du mir übermittelt hast … Sie waren recht vage. Bist du in der Lage, mir jetzt Einzelheiten zu nennen?«
    Esebian folgte Lukas durch den Flur, der eigentlich gar nicht existieren durfte. Hier, einige Meter hinter der Rückwand des Ladens, hätte sich das nächste und vielleicht schon das übernächste Gebäude der Stadt befinden müssen. Der Korridor und die angrenzenden Zimmer befanden sich in einem phasenverschobenen Teil der lokalen Raum-Zeit, in einem »Loch in der Realität«, wie es Lukas einmal genannt hatte. Es handelte sich um Erlauchten-Technik, und wie Lukas in ihren Besitz gelangt war, blieb sein Geheimnis. Calebs Frage danach hatte er vor fast hundert Jahren mit einem vorwurfsvollen Blick beantwortet, und das aus gutem Grund: Man gab keine wichtigen Geschäftsgeheimnisse preis, nicht einmal einem Freund gegenüber.
    »Wie weit bist du?«, fragte Lukas, als sie ein Zimmer betraten.
    Esebian wusste, was er meinte. »Noch dieses eine Mal.«
    »Dann hast du genug Meriten für den letzten

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