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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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bestehend aus Rosenquarz, Kalk und Stahlkomposit: Ports für den Außenweltverkehr. Auf einem davon stand der gedrungene, tropfenförmige Orbitalspringer, mit dem Esebian und Leandra hierher nach Gevedon gekommen waren, einer Welt der Enha-Entalen.
    Angenehme Kühle empfing Esebian, als er den »Laden« betrat, wie Lukas seine kleine Residenz in dem Bereich der Stadt nannte, in dem sich Außenweltler niedergelassen hatten. Was aussah wie ein Geschäft, das Touristen Kunstgegenstände der Enha-Entalen anbot, war ein Dienstleistungsbetrieb, eine Mischung aus Werkstatt und Arsenal. Esebian ging langsam an leeren Regalen und Ausstellungsvitrinen vorbei, in denen kleine Punktlampen auf seine Präsenz reagierten und Objekte beleuchteten, die ebenso bunt waren wie die Komponenten der Wabenstadt. Mithilfe seiner Kommunikationserweiterungen sendete er einen Identifizierungsimpuls, dessen Codierung Lukas darauf hinwies, dass er mit bestimmten Wünschen kam.
    Fast eine Minute verging, und dann raschelte es im rückwärtigen Teil des Ladens, und eine Gestalt trat vor, halb Mensch und halb Maschine. Vier anderthalb Meter lange, mehrgelenkige Beine aus bläulich glänzendem Metall und weißer Synthomasse summten leise, als sie einen geschrumpften, verknorpelten menschlichen Rumpf in den Hauptraum des Ladens trugen. Zwei dünne, knorrige Arme ragten dicht unter den verwachsenen Schultergelenken aus diesem Rumpf und führten zu einem kleinen Steuergerät, das sich dort befand, wo es vor vielen Jahren einmal Genitalien gegeben hatte. Die eine Hälfte des Kopfes bestand aus Stahlkomposit und enthielt, wie Esebian wusste, halb intelligente Prozessoren mit Bewusstseinsschranken; die andere Hälfte beherbergte supereffizientes neuronales Gewebe, von unabhängigen Bioingenieuren geschaffen. Eine semiorganische Zellmembran mit integriertem Formspeicher bildete das Gesicht, und diesmal hatte Lukas aus irgendeinem Grund die Züge eines greisenhaften Mannes gewählt, wie man sie sonst nur sehr selten sah.
    »Wir kennen uns«, sagte Lukas. Seine Stimme kam aus einem Artikulator an der Seite des Kopfes, war voll und sonor.
    »Ja.«
    »Ich nehme an, Sie legen Wert auf Privatsphäre.«
    »Unbedingt.« Esebian wartete geduldig, als Lukas einmal mit summenden Beinen um ihn herumging. Seine passiven Erweiterungen registrierten verschiedene Sondierungssignale, und er versuchte nicht, sich abzuschirmen. Lukas war ein Freund, auch wenn er es derzeit noch nicht wusste; seine Erinnerungen schliefen, aus Sicherheitsgründen.
    Der mechanische Zwitter verharrte vor Esebian, und eine kleine, verhutzelte Hand berührte Schaltelemente auf der Kontrolleinheit. Im elektromagnetischen Spektrum wurde es plötzlich vollkommen still.
    »Jetzt sind wir ungestört. Wenn ich Sie bitten darf …« Er streckte den dünnen Arm aus und öffnete die Hand.
    Esebian holte eine kleine Scheibe hervor, rosafarben wie die Türme der Stadt und mit einer aktiven Codierung versehen – auf unbefugten Zugriff hätte sie erst mit einer Veränderung der Schutzalgorithmen und dann mit einer Tiefenlöschung des Dateninhalts reagiert.
    Lukas nahm die Scheibe entgegen und schob sie in ein Interface, das fest mit seinem Rumpf verbunden war. Einige Sekunden stand er reglos da, und das ihn begleitende leise Summen reduzierte sich auf ein elektrisches Flüstern, das Esebian nur noch mit seinen akustischen Erweiterungen hörte. In dem greisenhaften Gesicht kam es zu Veränderungen. Der Blick der wässrigen grauen Augen wirkte plötzlich nicht mehr kühl und abschätzend, sondern warm und erfreut, und die Wachsamkeit verschwand. Die rissigen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, und erneut streckte Lukas die Hand aus.
    »Caleb!«, sagte er. »Freut mich, dich wiederzusehen.«
    Esebian ergriff die Hand, schüttelte sie kurz und drückte dabei nicht zu fest zu. »Ich bin jetzt Esebian«, sagte er, und das stimmte: Selbst hier, bei jemandem, der in Calebs Leben – und erst recht in Talannas – eine wichtige Rolle gespielt hatte, blieb er vor allem Esebian.
    »Ich verstehe«, sagte Lukas, und Esebian zweifelte nicht daran, dass er wirklich verstand, was das bedeutete. »Und du bist nicht allein gekommen, wie ich sehe.«
    Er hob eine kleine Hand, und ein Displayfeld zeigte Leandra in Begleitung eines zierlichen Enha-Entalen mit krummem Stabkopf. Im blutigen Schein des roten Riesen am Himmel gingen sie an den Schachtelbauten vorbei. Leandra blieb immer wieder stehen und sah sich staunend um,

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