Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
Vom Netzwerk:
Nächte völlig umsonst gearbeitet?«
    Ihm antwortete nur die spöttische Stimme des Winds.
    Im Grau des neuen Tages, auf einer grauen Welt, machte er sich erneut an die Arbeit und formte aus den Stäbchen die Muster, von denen er wusste, dass sie richtig waren. Wieder arbeitete er drei Tage und drei Nächte und empfing als Belohnung einen Moment der Zufriedenheit, als das letzte Stäbchen die Muster vervollständigte und er den Sieg über die Unordnung errang. Dann kam erneut der Wind und zerstörte, was er geschaffen hatte.
    Von der schweren Last der Erschöpfung gebeugt stand er da und begriff, dass dies seine ganz persönliche Hölle war: Er musste immer wieder erleben, wie die von ihm mühsam geschaffene Ordnung neuem Chaos wich …
     
     
    Dies war nicht die graue Welt, begriff Akir Tahlon, als er die Augen öffnete und ein Gesicht sah, das mehr war als ein vager, kaum zu erkennender Umriss in der Finsternis unter einer Kapuze. Ein Teil der Leere dort, wo sich seine Erweiterungen befanden, hatte sich wieder gefüllt, doch er blieb auf seine gewöhnlichen Sinne beschränkt. Das Gesicht war glatt und jung, eingefasst von goldenen Locken. Ein Engel?, dachte er.
    »Hören Sie mich, Präfekt?« Irgendwo summte und zirpte es, und der Engel stellte fest: »Die Instrumente sagen, dass Sie mich hören. Wir haben eine Rekonversion durchgeführt. Verstehen Sie?«
    Eine Rekonversion?, dachte er, und vielleicht sprach er diese Worte aus, denn der Engel nickte.
    »Ja. Sie sind tot gewesen, Präfekt. Aber jetzt leben Sie wieder, und wir sind sicher, dass wir den größten Teil Ihrer Erinnerungen retten konnten. Wann haben Sie Ihr letztes Backup angelegt?«
    Ich bin tot gewesen, dachte er. Und: Was ist ein Backup?
    Seine Müdigkeit war immens – immerhin hatte er viele Tage und Nächte einen letztendlich aussichtslosen Kampf gegen die Unordnung geführt –, und hier in dieser anderen Welt konnte er ihr endlich nachgeben. Tahlon schloss die Augen und schlief.
     
     
    Er träumte, und in seinem Traum war er wieder in der grauen Welt und beobachtete all die Menschen an den Hängen des Vulkanbergs, die ihr ganzes erbärmliches Leben lang schufteten, um zu überleben. Auch ihr Kampf war letzten Endes aussichtslos, denn während sie sich Tag für Tag abplagten, wurden sie älter und älter, und schließlich starben sie. Doch damit waren sie nicht erlöst, denn sie wurden wiedergeboren, und dann begann alles von vorn.
    Und in seinem Traum dachte er: Ich bin ebenfalls wiedergeboren.
     
     
    Als er erneut erwachte, sah er zwar nicht das von blonden Locken umrahmte Gesicht, wusste aber, dass jene Frau kein Engel gewesen war. Er lag in einem Rekonvaleszenztank, und sein Körper – zumindest das, was er von ihm spürte – fühlte sich irgendwie falsch an. Vermutlich wuchsen ihm neue Gliedmaßen und Organe. Eine Rekonversion, erinnerte er sich. Die Explosion beim Filigranport musste ihn sehr übel zugerichtet haben.
    Wieder erschien ein Gesicht über ihm, diesmal das Gesicht eines Mannes: fast hohlwangig, die Nase lang und gerade, die Augen in der Farbe von unbehandeltem Stahl, in den Wangen die kaum erkennbaren dünnen Linien von Nanosensoren; die Stirn war hoch und von dünnen Falten durchzogen, das Haar kurz und so grau wie die Augen. Kein Arzt, dachte Tahlon und fragte sich, woher er dieses Wissen nahm.
    Der Mann beugte sich zu ihm herab, und für ein oder zwei Sekunden fühlte sich Tahlon von seinem Blick durchbohrt. Vielleicht geschah das tatsächlich, denn er fühlte einen kurzen, stechenden Schmerz. Dann richtete sich der Mann wieder auf, das Gesicht so ausdruckslos wie vorher. Etwas in den grauen Augen – grau wie die andere Welt mit der sinnlosen Schufterei – sagte ihm, dass es sich um einen Kandidaten handelte.
    Wer sind Sie?, wollte er fragen, hörte aber nur ein leises Krächzen und war nicht einmal sicher, ob es von ihm stammte.
    Der Mann verschwand.

 
     
     
    Aus der Vergangenheit,
    Fern und alt,
    Eine laute Stimme schallt:
    Leben!
     
WEM DIE STUNDE SCHLÄGT
14
     
    Zwei Sonnen standen am Himmel, die eine grün und klein, dicht über den Zackenbergen am Horizont, die andere ein großer roter Ball am Himmel über der ausgedehnten Wabenstadt der Enha-Entalen. Mit der Farbenpracht prismatischer Kristalle umfasste die Metropole dreizehn Tafelberge, auf deren Plateaus sich die pastellfarbenen Oktaeder der Prinzipalinnen erhoben. An mehreren Stellen ragten rosafarbene Türme aus den Schachtelbauten der Stadt,

Weitere Kostenlose Bücher