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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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sich hatte. Er war ein Sammler. Deshalb befand er sich hier unten bei den Xiri und nicht oben in Appaia, wo die Regeln der Magister galten. Bei den Ureinwohnern von Hadadd und den Geschöpfen, die sie nutzten, sammelte er genetisches Material für neue Kreationen, ohne sich von ethisch-moralischen Kodizes behindern zu lassen. Ob dies nach den Maßstäben des Direktoriats legal war oder nicht – dadurch veränderte sich Esebians Situation. Er brauchte sich weniger Sorgen darüber zu machen, dass Cambero ihn verriet. Und er konnte ihn bezahlen, nicht mit Meriten, sondern …
    »Ich stelle Ihnen meine DNS zur Verfügung«, sagte Esebian, als er im Sessel des Variform-Scanners Platz nahm. »Für Ihre Dienste.«
    »Oh, das ist sehr freundlich von Ihnen, sehr freundlich«, zwitscherte der Chisnall, und sein Artikulator übersetzte sofort. »Interessante DNS kann ich immer gebrauchen, und Ihre …«
    »Ich bin Kandidat«, sagte Esebian, als der Scanner zu summen begann und der Sessel mit ihm in den Zylinder glitt, der das Sensornetz enthielt. Mit solchen Apparaturen war er vertraut; sie erinnerten ihn an die Geräte, die bei den Therapien Verwendung fanden. »Konsul.« Ein Geheimnis verriet er damit nicht. Der Scan hätte dem Bioingenieur die Veränderungen in seinen Zellstrukturen deutlich gezeigt.
    »Ein Kandidat sind Sie?« Cambero klapperte mit dem Schnabel. »Oh, dann sind solche Behandlungen sehr schwierig und aufwändig.«
    »Haben Sie jemals DNS-Proben von einem Konsul bekommen? Ich schätze, sie sind viel wert.«
    »Ich helfe gern, helfe gern«, schnatterte der Chisnall. »Bitte entspannen sie sich. Die Sondierung beginnt.«
    Ein mattes Glühen umhüllte Esebian, giftgrün wie das Vitalisierungsfeld einer Therapie. Der Sessel kippte langsam nach hinten, und die Müdigkeit verwandelte sich in zähen mentalen Brei, in dem die Gedanken feststeckten wie Stiefel in Schlamm. Camberos Stimme war plötzlich weit, weit entfernt.
    »Wie möchten Sie aussehen?«, fragte der Bioingenieur. »Wie soll Ihr neuer linker Arm beschaffen sein?« Und: »Brauchen Sie beide Hoden?«
    Er öffnete den Mund, um zu antworten, aber eine andere Stimme antwortete für ihn, weich und melodisch, wie ein leiser, sanfter Gesang, der direkt das Gehirn erreichte und dort mit den Wurzeln des Bewusstseins spielte.
    »Jung«, sang Leandra. »Er möchte jung sein. Und sein Körper …« Der Rest verlor sich in einem Säuseln, das nach Wind klang, der über die endlosen Weiten einer Wüste strich. Nein, dachte Esebian. Keine Wüsten. Bitte keine Wüsten.
    Er schlief, aber nicht vollständig. Ein Teil des Selbst blieb mit der Welt außerhalb seines Schädels verbunden und spürte, dass er sich bewegte oder bewegt wurde. Wie viel Zeit verging, ließ sich nicht feststellen. Esebian dämmerte vor sich hin und versuchte, nicht die Bilder zu betrachten, die aus den Tiefen seiner Innenwelt aufstiegen, und zum Glück blieben sie vage. Ohne die Möglichkeit, seinen mentalen Modus zu bestimmen, wollte er sich nicht mit Dingen aus den früheren Leben auseinandersetzen. Die unangenehmsten Erinnerungen hatte er zwar ausgelagert, was ihn aber nicht vor Überraschungen schützte, wie die Reminiszenz an Ayanne und die Zwillinge bewies. Er brauchte Ruhe, um sich zu erholen, um zu planen, um zu verstehen und um Vergeltung zu üben.
    Da war ein reizvoller Gedanke, und stark genug, um durch den Brei der Müdigkeit zu kriechen wie eine Schlange, die sich von nichts aufhalten lassen wollte. Tirrhel hatte ihn erpresst, belogen, betrogen und fast getötet. Wer auch immer er und seine Hintermänner waren … Sie würden dafür bezahlen.
    Irgendwann wurde es heller über ihm – er war so sehr mit seinen süßen Rachegedanken beschäftigt gewesen, dass er die Dunkelheit gar nicht bemerkt hatte –, und Leandras Gesicht erschien über ihm, das blonde Haar wie zwei Wolken zu beiden Seiten ihres Gesichts. »Esebian? Zwei Observanten sind hierher unterwegs. Ich versuche, sie abzulenken. Sprich nicht im Schlaf, hörst du? Sprich nicht im Schlaf. Cambero kann dich nicht betäuben; das hätte negative Auswirkungen auf den Umbau der Zellen, hat er gesagt.«
    Hatte er im Schlaf gesprochen? Er verstand. Kein Wort. Nicht ein einziges. Niemand durfte von seinen Racheplänen erfahren, die eigentlich noch gar keine richtigen Pläne waren. Etwas brannte in ihm, und an anderen Stellen wurde es kalt, als sich seine Zellen neu gruppierten. Er kannte Empfindungen dieser Art. Hitze und Kälte,

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