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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Feuer und Eis, das Wechselbad der Veränderung. Besonders intensiv war es damals gewesen, als er zu Talanna geworden war, vom Mann zur Frau. Das Leben neu erfahren, die Welt aus einer anderen Perspektive sehen … Das Brennen eines neuen Lebens, mit eruptiver, heißer Kraft, wie ein Lavastrom aus Hormonen, Enzymen, Zellsäften und veränderten Gedanken und Gefühlen.
    Ein neuer Arm wuchs ihm, und gleichzeitig veränderten die linke Schulter und auch der Rest des Körpers ihre Struktur. In seinem Dämmern glaubte Esebian zu spüren, wie mehr Muskelgewebe entstand und die Knochen dicker wurden. An der chemischen Grundkonfiguration änderte sich kaum etwas. Er blieb ein Mann, und er blieb er selbst, noch immer Esebian, nicht Caleb, Gunder, Evan Ten-Ten oder einer der anderen, sondern Esebian, der Mann, der beschlossen hatte, nicht mehr zu töten, um die Unsterblichkeit zu erreichen.
    Gesichter erschienen über ihm, während er an den Tod dachte wie an ein wildes Tier, das in der Dunkelheit lauerte, das sich gerade außerhalb seiner Sichtweite duckte wie zum Sprung und manchmal leise knurrte. Einmal sah er erneut Leandras Gesicht, und ihre Lippen bewegten sich, ohne dass er etwas hörte, aber die Bewegungen berührten ihn in seinem Innern, was Caleb mit Misstrauen zur Kenntnis nahm. Es folgten die Gesichter von Menschen, die er nicht kannte, und er fragte sich, ob er sie wirklich sah oder ob es Erinnerungen waren. Dann erschienen ein Schnabel und Knopfaugen über ihm, und eine zwitschernde Stimme sprach von biochemischen und biomechanischen Inkongruenzen, von gefährlichen Strukturveränderungen und metabolischen Instabilitäten. Esebian hörte die Worte, aber sie berührten ihn nicht wie Leandras lautlose Stimme. Worüber auch immer der Aviane sprach, es betraf nicht seine Seele, und der Rest spielte keine Rolle. Aus dem Brennen war angenehme Wärme geworden, und Esebian gab sich ihr hin, ließ sich von ihr durchdringen und genoss den Luxus, sich zu entspannen.
    Nach einer Weile spürte er neue Bewegungen, die seinen ganzen Körper betrafen, aber er weigerte sich, die Zone der Ruhe zu verlassen, die ihm das Gefühl eines nahezu perfekten Friedens vermittelte.
    Irgendwann hörte er Leandras Stimme.
    »Sie haben dich gesehen«, sagte sie. »Die Observanten haben dich gesehen. Aber ich habe dich aus ihren Gedanken gelöscht.«
    Esebian versuchte zu verstehen, was sie damit meinte. »Waren sie … allein?«, fragte er und stellte fest, dass seine Stimme tiefer und voller klang. »Oder war eine Magisterdrohne bei ihnen?« Externe Wahrnehmungen kehrten zurück, mit einer Intensität, die ihn überraschte. Seine Erweiterungen funktionierten wieder, aber nicht alle, und manche Empfindungen stammten nicht von ihnen, sondern …
    Er lag auf dem Rücken, auf einem breiten, festen, muskulösen Rücken, unter dem er eine weiche Decke spürte. Das Zimmer war dunkel, doch seine visuellen Sensoren vermittelten ihm ein klares Bild von einer kleinen Wohnhöhle.
    »Nein, es war keine Magisterdrohne bei ihnen«, sagte Leandra. »Und sie sind gegangen, ohne dich zu identifizieren. Weil ich nicht wollte, dass sie dich erkennen.«
    Das dritte Mal, dachte Esebian mit neuer geistiger Frische. Sie hat mir zum dritten Mal das Leben gerettet.
    Und dann dachte er: Warum sitzt sie auf mir? Warum reitet sie auf mir?
    Er war steif und hart an einer Stelle, an der er lange nichts mehr gespürt hatte, und Leandra hatte ihn in sich aufgenommen. Nackt saß sie auf ihm, auf seinem nackten, rekonfigurierten Körper, der ihr zu gefallen schien, und ihr Brüste schaukelten, als sie ihn ritt, auf und ab, vor und zurück.
    Sie beugte sich zu ihm herab, und ihr Becken blieb in Bewegung, als sie flüsterte: »Hältst du mich immer noch für ein Kind, Esebian?«

 
     
     
    Ein Flüstern in der Nacht,
    Gewählt mit Bedacht,
    Ein Licht in der Not
    Hält fern den Tod.
     
VOM TOD ZURÜCK
22
     
    Es befanden sich keine Besucher mehr im Verwaltungszentrum von Appaia, dafür aber hundert Angehörige der Ehernen Garde und noch einmal so viele Männer und Frauen aus den Observantenkorps von Hadadd, alle bis an die Zähne bewaffnet und mit externen Erweiterungen ausgestattet. Autonome Sensoren flogen durch die Korridore, Zimmer und Säle, hielten Ausschau nach Attentätern, Bomben, Fallen und allem, das ein Sicherheitsrisiko darstellen konnte. DNS-Schnüffler krochen über Böden, Wände und Decken. Crawler waren in den Energie- und Datenkanälen unterwegs, auf der Suche

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