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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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zur Rechenschaft zu ziehen.«
    Die Stimmen schienen miteinander zu verschmelzen, und es fiel Tahlon nicht leicht, die einzelnen Sprecher voneinander zu unterscheiden. Ermittlungen, dachte er.
    »Antworten«, sagte er laut.
    Die Direktoren – dreizehn mobile Avatare, einige aus Pseudomaterie und der Rest fleischliche Kopien mit projiziertem Bewusstsein, neunundzwanzig quantenverschränkte Lokalavatare und sieben Realkörper – sahen ihn an. Tahlons Erweiterungen, die neuen wie die reparierten, funktionierten in den Neutralisierungsfeldern nicht; er blieb auf seine gewöhnlichen Sinne angewiesen, um Gesten zu interpretieren, Blicke zu deuten und im Mienenspiel subtile Hinweise darauf zu erkennen, was die Unsterblichen dachten und fühlten. Dabei stieß er auf das gleiche Problem, dem er auch und gerade bei El'Kalentar begegnet war: Körpersprache und Mimik der Unsterblichen unterschieden sich von denen anderer Menschen.
    Im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende schienen sie einen eigenen Gestencode entwickelt zu haben – eine leichte Handbewegung konnte mehr bedeuten als Dutzende von Worten bei Sterblichen. Tahlon hoffte, diesen Code nach seinem letzten Aufstieg schnell zu lernen.
    »Präfekt?«, fragte El'Farah.
    »Wir brauchen Antworten«, sagte Akir Tahlon. »Deshalb müssen wir Esebian lebend ergreifen. Für das, was er getan hat, verdient er zweifellos die härteste aller Strafen, aber bevor er zur Rechenschaft gezogen wird, möchte ich ihm einige Fragen stellen.«
    »Zum Beispiel?«
    Es war die laute, volltönende Stimme, die Tahlon zu Anfang vernommen hatte, und sie gehörte El'Coradi, einem viereinhalbtausend Jahre alten Erlauchten, der ein weites violettes Gewand trug und dessen große Augen in der gleichen Farbe leuchteten. Er wirkte sehr ernst, kühl und distanziert, selbst für einen Unsterblichen, und das lange grauweiße Haar trug er diesmal zu einem Zopf geflochten. Im Gegensatz zu den anderen Direktoren hatte El'Coradi, aus welchen Gründen auch immer, das Erscheinungsbild reifen Alters gewählt. Die achtzig oder neunzig Scheinjahre gaben ihm, zumindest für die Augen von Sterblichen, eine Aura der Weisheit. Tahlon erinnerte sich daran, dass es häufig Differenzen zwischen ihm und El'Kalentar gegeben hatte.
    »Ich würde diesen Esebian gern fragen, was ihn zu seiner Tat getrieben hat«, sagte Tahlon. »Ich möchte von ihm wissen, ob er ganz allein dafür verantwortlich ist.«
    »Zweifeln Sie daran?«, wandte sich El'Farah verwundert an ihn.
    Erst jetzt bemerkte Akir Tahlon das silberne Glitzern hinter ihr. Es stammte von einer Drohne, und er fragte sich, welchen der beiden Magister im Granville-System sie repräsentierte. Sie schwebte völlig lautlos, von einem Gravanker mehrere Meter über dem Boden gehalten.
    »Vielleicht steckt nicht er allein hinter der Tat«, sagte Tahlon. »Vielleicht gibt es Hintermänner.«
    »Hintermänner?«, donnerte El'Coradi, und es klang wie ein persönlicher Vorwurf.
    »Warum hat Esebian El'Kalentar getötet, einen Unsterblichen und den Vorsitzenden des Direktoriats?«, erwiderte Tahlon und beobachtete die Magisterdrohne. Hatte sich ihr Glanz ein wenig verändert? »Versprach er sich persönliche Vorteile davon? Welche? Und wenn er zu einer Gruppe gehört, die hinter diesem Mord steckt … Wie sehen die Pläne dieser Gruppe aus?« Tahlon sprach erst zögernd und dann schneller. Seine Gedanken gingen in eine bestimmte Richtung, und je weiter sie vordrangen, desto mehr Fragen fanden sie. Er machte einen geistigen Sprung über mehrere Vermutungen und Hypothesen hinweg und sagte: »Ist El'Kalentars Ermordung vielleicht Teil eines größeren Plans, der sich gegen das Direktoriat und die Erlauchten richtet? Steckt eine militante Gruppe des Netzwerks dahinter? Ging es nicht nur um die Person, sondern auch um ihr Amt?«
    Von der Magisterdrohne kam ein kurzes Flackern, diesmal war er sicher.
    »Eine Verschwörung?«, fragte El'Coradi, und wieder war seine Stimme laut genug, um durchs ganze Versammlungszentrum zu hallen. »Und wer sagt uns, dass Sie nicht Teil dieser Verschwörung sind, Präfekt? Vielleicht sind Sie der Drahtzieher, die Graue Eminenz im Hintergrund. Vielleicht haben Sie eine Kopie Ihrer selbst geschickt, um von Ihrer tatsächlichen Schuld abzulenken.«
    Es bereitete Tahlon fast körperlichen Schmerz, dass jemand so etwas für möglich hielt. »Ich versichere Ihnen …«, begann er.
    »Die Lage ist ernst, in jeder Hinsicht«, ließ sich El'Farah vernehmen. Sie

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