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Kinder der Ewigkeit

Kinder der Ewigkeit

Titel: Kinder der Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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ihm lastende Gewicht der Müdigkeit zu verdoppeln, wenn nicht zu verdreifachen schien. Wie lange war es her? Zweihundert Jahre? Zweihundertzwanzig? Eine andere Frau, mit dunklem Haar, eine Begleiterin auf dem Weg zum Kandidatenstatus und zur Unsterblichkeit. Der Traum – naiv, dumm und realitätsfern, ja, aber angenehm, sehr angenehm –, die Ewigkeit gemeinsam zu erleben. Und dann … der Tod. Nicht nur sie war gestorben, sondern auch ihre Kinder, die Zwillinge mit der manipulierten, sauberen DNS – niemand in den Tausend Tiefen sollte feststellen können, dass ihre Eltern aus den Gemischten Gebieten stammten. Sie waren gestorben, bevor sie Gelegenheit erhalten hatten, das Leben in allen seinen Facetten kennenzulernen. Und es war seine Schuld.
    Für einige Sekunden schien Esebians Herz still zu stehen. Er hatte diese Erinnerungen ausgelagert, wie alle anderen, die nur eine Belastung darstellten. Dies waren die schlimmsten von allen, und offenbar wurzelten sie so tief in ihm, dass sie sich nicht ganz herausreißen ließen.
    Dann schlug sein Herz wieder, und Leandra, die Hand noch immer an seiner Wange, sagte: »Ich kann mehr für dich sein, Esebian.«
    Er zog den Kopf zurück und wich der Hand aus. »Unsinn. Du bist ja fast noch ein Kind.«

 
21
     
    Das von Malgralk angekündigte Transportmittel waren chilopodenartige Insektoiden mit Dutzenden von Beinpaaren und langen Stielaugen, die ständig wie Fühler hin und her schwangen. Esebian war so erschöpft und schwach, dass er kaum allein aufstehen konnte. Leandra half ihm hoch und in eine Art Sattel, und anschließend begann eine Reise durch Tunnel und Höhlen, die Stunden zu dauern schien. Irgendwann legte sich die Müdigkeit wie eine warme Decke um seine Gedanken, und er schlief ein. Als er wieder erwachte, im Sattel zusammengesackt und von einigen Riemen festgehalten, die Leandra ihm angelegt hatte, trugen die Chilopoden sie durch etwas, das offenbar eine Stadt war, bestehend aus Felsnadeln und dickeren Türmen, in denen rote Lebensfäden glühten; unterschiedlich große Kugeln, die aus organischen Absonderungen zu bestehen schienen, hingen an armdicken Strängen von der hohen Decke und wiesen runde Öffnungen auf. Mit Flügeln ausgestattete Xiri schwirrten zwischen ihnen umher. Ihre flugunfähigen Artgenossen, unter ihnen Malgralk, begnügten sich mit Wohnnestern auf dem Boden und an den Wänden der Höhle. Im Licht der chemischen Lampen sah Esebian hier und dort geradlinige Syntho-Bauten, die ganz offensichtlich nicht von den Xiri stammten. Die auf dem Chilopoden neben ihm reitende Leandra bemerkte seinen besorgten Blick und beugte sich zu ihm.
    »Ich habe mit Malgralk gesprochen, und er hat mir bestätigt, dass keine Observanten hier sind«, sagte sie.
    »Es genügt ein inoffizieller Beobachter«, erwiderte Esebian. »Wenn er mich erkennt, wird es nicht lange dauern, bis Observanten oder Ethikwächter hier eintreffen, ob es sich um ein Protektorat handelt oder nicht.« Die Suche nach dem Mörder eines Unsterblichen schrieb gewisse Regeln neu.
    »Malgralk bringt uns zu einem Körperbauer, wie er es nennt. Vielleicht kannst du dich mit seiner Hilfe … tarnen.«
    »Zu einem Körperbauer? Ist damit ein Bioingenieur gemeint?«
    »Ja, ich denke schon.«
    Esebian blieb zusammengesackt sitzen, hielt den Kopf gesenkt und war dankbar für die allgemeine Düsternis, auch wenn sie kaum half und ihm ein falsches Gefühl von Sicherheit vermittelte. Nur weil seine eigenen visuellen Erweiterungen nicht funktionierten, bedeutete das noch lange nicht, dass andere Menschen in diesem Halbdunkel ebenso schlecht sahen wie er. Keine Besucher von oben, hatte Malgralk gesagt. Oder nur wenige. Wer waren diese wenigen? Vermutlich Leute, die sich mit Kultur und Geschichte der Xiri befassten und damit Meriten verdienten. Oder vielleicht einfach nur Neugierige, die eine ganz andere Spezies aus nächster Nähe kennenlernen wollten.
    Die Chilopoden kletterten hintereinander über einen Felssteg, der an zwei besonders hell leuchtenden Chemolampen vorbeiführte – Esebian duckte sich tiefer und hoffte, dass niemand auf sie achtete –, und trippelten dann durch eine breite Öffnung in einen Nestbau, der aus mehreren miteinander verbundenen lehmbraunen Kugeln bestand. Die erste von ihnen enthielt nur einige leere Ruhegerüste und einen offenen, runden Schrank mit Artefakten, deren Zweck Esebian verborgen blieb. Die Chilopoden hielten davor an. Malgralk krabbelte von seinem Transporttier

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