Kinder der Ewigkeit
Resident? Die Dinge sind komplex, selbst die einfachsten, wenn Sie mir dieses Wortspiel gestatten. Was ich sagen will: Wenn selbst die Entstehung von neuen Universen im ›blubbernden Vakuum‹, wie es jemand nannte, dem Zufall überlassen bleibt, beziehungsweise der Wellenfunktion, die nicht von Absolutem spricht, sondern von Wahrscheinlichkeit … Wie sollen wir dann feststellen, welche Auswirkungen das Ende eines Lebens auf diesen Teil des Kosmos haben könnte?«
»Alles ist miteinander verbunden«, sagte Tahlon. »Sie werden nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen. Sie und die anderen Magister sehen diese Verbindungen und sind sehr wohl imstande, Aussagen über Wahrscheinlichkeiten zu treffen. Was sehen Sie?«
»Wollten Sie deshalb mit mir sprechen? Um mich dies zu fragen?«
Tahlon seufzte innerlich. »Wir haben festgestellt, dass zumindest ein Erlauchter mit dem Tod des Direktoriatsvorsitzenden zu tun hat. Der Mord ist mehr als das Verbrechen eines verrückten Einzeltäters.«
»An das Sie nie geglaubt haben, Resident.«
»Nein. Da die Erlauchten in diese Angelegenheit verwickelt zu sein scheinen … Ich möchte Sie bitten, meinen Mitarbeitern und mir uneingeschränkten Zugriff auf alle Datennetze der Hohen Welten zu gewähren.«
Wieder knisterte es in den offenen Datensegmenten, die im All als lange stachelartige Erweiterungen aus den Zentralmodulen des Magisters ragten. »Das verstieße gegen die Regeln, Resident. Die Unsterblichen genießen eine besondere Privatsphäre, wie Sie sehr wohl wissen.«
»Die Regeln stammen von Ihnen.«
»Und deshalb können wir sie einfach ändern, meinen Sie? Wenn ›die Umstände‹ es verlangen?«
»Sollte man nicht flexibel sein?«, fragte Tahlon.
»Und wer bestimmt, wo Flexibilität angebracht ist und wo nicht? Flexible Regeln sind keine Regeln, sondern Richtlinien.«
»Manchmal kommt es vor allem auf das Ergebnis an.«
»Der Zweck heiligt nicht die Mittel, Resident. Die Regeln müssen beachtet werden.«
Das Knistern wurde lauter, und das grauweiße Licht in einem Denksegment gewann rote und blaue Töne. Tahlon ließ sich vom sprechenden Distributor ablenken, blickte in den mehrere hundert Kilometer langen Tunnel und stellte überrascht fest, dass Bewegung in die Quantenkerne geriet. Sie gaben ihre bisherigen Strukturen auf.
»Ein Seeder löst sich von mir, Resident«, sagte Jae, und Tahlon glaubte, in der Stimme einen Hauch von Stolz zu hören. Oder ging dieser Eindruck auf eine Anthropomorphisierung zurück?
»Sie werden … Vater?«, fragte Tahlon. »Oder Mutter?«
»Das ist grob vereinfacht, aber man könnte es so sehen. Es gab viel zu bedenken, Resident. Deshalb die ungewöhnlich lange Wartezeit.«
Farben huschten durch das schimmernde Ellipsoid des Distributors, und Tahlon gewann erneut den Eindruck, dass seine Gedanken in eine andere Richtung gelenkt werden sollten. War er zunächst verärgert gewesen, so wuchsen in ihm jetzt Neugier und Argwohn.
»Um den Mordfall zu lösen, brauche ich mehr Informationen über die Erlauchten, Magister. Ich hatte mir erhofft, mit Ihrer Hilfe unbeschränkten Zugang auf die Datennetze der Hohen Welten zu erhalten, doch wenn das nicht möglich ist …«
»El'Farah hat Sie im Namen des Direktoriats zum Chefermittler ernannt und Ihnen alle Ressourcen zugesichert, die Sie brauchen. Dazu gehören sicher auch Informationen.«
Dieser Hinweis, fand Tahlon, war töricht und eines Magisters nicht würdig. Jae musste wissen, dass es den Erlauchten nicht an Möglichkeiten mangelte, sich seinen Ermittlungen zu entziehen und ihm wichtige Informationen vorzuenthalten. Wenn jemand unter den Unsterblichen an der Ermordung El'Kalentars beteiligt war, so richtete er den Finger der Anklage bestimmt nicht freiwillig auf sich selbst.
Tahlon atmete tief durch und behielt das schimmernde Ellipsoid des Distributors im Auge, trotz der Bewegungen in den Denksegmenten.
»Sie sind nicht besonders hilfreich, Magister.«
Ein leises Knistern, und dann: »Sie scheinen diesmal sehr emotional zu reagieren, Resident. Haben Sie Ihren mentalen Modus nicht unter Kontrolle?«
Er provoziert mich, dachte Tahlon und fragte sich erstaunt, warum er so lange gebraucht hatte, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Er will mich aus der Reserve locken. Aber warum?
»Würde es Ihren Ermittlungen helfen, den Mörder zu finden?«
Tahlon wusste nicht, was er von der Frage halten sollte. Sie war absurd. »Ich bitte um Entschuldigung, Magister. Sie fragen mich,
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