Kinder der Nacht
Graupelschauer, dann so stark, daß Balan den einzelnen Scheibenwischer vor sich einschaltete. Kate erwachte ruckartig, als der Landrover plötzlich unvermittelt zum Stillstand kam.
»Ruhe«, sagte Balan. Er und der Woiwode Cioaba stiegen aus und schlossen die Türen, ohne sie zuzuschlagen.
Kate drehte den Kopf, konnte aber kaum die anderen Fahrzeuge erkennen, die hinter flaches Gebüsch gefahren waren. In der Nähe verlief ein Fluß; sie konnte ihn in der Dunkelheit nicht sehen, aber das Wasser rauschen hören. Sie kurbelte das Fenster herunter, und die kalte Luft hob den Nebel der Übermüdung ein wenig von ihr. »Hören Sie«, flüsterte O'Rourke.
Da hörte sie es, eine Art starken Dieselmotor. Zwanzig Meter über ihnen tauchte plötzlich ein Panzerwagen auf einer Straße oder Eisenbahnbrücke auf. Auf der vorderen Haube war ein Suchscheinwerfer montiert, aber der wurde nicht nach rechts oder links geschwenkt. Kate hatte in Regen und Dunkelheit nicht einmal gesehen, daß die Brücke da war.
»Gepanzerter Mannschaftstransporter«, flüsterte der Priester. »Russische Bauart.«
Ein anderes Fahrzeug, eine Art Jeep, dessen Scheinwerfer die grauen Flanken des Panzerwagens davor anstrahlten, folgte ihm. Kate konnte den Regen als Silberfäden im Licht der Scheinwerfer sehen. Einer der Männer hinter der offenen Tür des Jeeps rauchte ; sie konnte die orangerote Glut erkennen. Sie müssen uns sehen, dachte sie.
Die beiden Fahrzeuge fuhren weiter; der Lärm des Dieselmotors war noch eine Minute oder länger zu hören.
Der Woiwode Cioaba und Balan stiegen wieder in den Landrover ein. Der junge Mann schaltete wortlos auf Allradantrieb, dann fuhren sie in den Fluß hinunter. Das Wasser reichte nur bis zu den Radkappen. Sie schaukelten und schwankten auf unsichtbaren Steinen dahin und fuhren unter der Brücke durch. Kate konnte sehen, daß rechts und links Stacheldraht bis zum Wasser herunter verlief, dann hatten sie den Zaun hinter sich in der Dunkelheit zurückgelassen und fuhren einen so steilen Hang hinauf, daß die Reifen des Landrovers durchdrehten, rutschten und fast weggeschmiert wären, bevor Balan wieder Halt fand und sie über den Rand des Ufers brachte.
»Rumänien«, sagte Balan leise. »Unser Heimatland.« Er lehnte sich zum offenen Fenster hinaus und spie aus.
Kate schlief möglicherweise stundenlang und erwachte erst wieder, als der Landrover erneut hielt. Einen schrecklichen Augenblick wußte sie nicht, wo sie war oder wer sie war, aber dann spülten Traurigkeit und die Erinnerungen wie eine schwarze Flutwelle über sie hinweg. Tom. Julie. Chandra. Joshua.
O'Rourke gab ihr Halt, indem er ihr eine kräftige Hand auf das Knie legte.
»Aussteigen«, sagte Balan. In seiner Stimme klang etwas Neues und Schneidendes mit.
»Sind wir schon da?« fragte Kate, verstummte aber, als sie die automatische Pistole in der Hand des Zigeuners sah.
Der Himmel wurde bereits heller, als Balan sie und O'Rourke von den Landrovern wegführte. Ein Dutzend weitere Männer, deren dunkle Gestalten in den Lammfellmänteln und Hüten riesig wirkten, standen im Kreis.
Der Woiwode Cioaba sprach hastig in einer Mischung aus Ungarisch, Rumänisch und Romani auf seinen Sohn ein, aber Kate verstand kein Wort. Falls O'Rourke es verstand, schien er nicht glücklich über das, was er hörte. Balan schnappte eine schneidende Antwort auf rumänisch, worauf der ältere Mann verstummte.
Balan hob die Pistole und richtete sie auf den Priester. »Ihr Geld«, sagte er.
O'Rourke nickte Kate zu, die den Umschlag mit den restlichen sechzehnhundert Dollar übergab.
Balan zählte rasch, dann warf er es seinem Vater zu. »Das ganze Geld. Schnell.«
Kate dachte an das viele Geld, das ins Futter ihrer Handtasche eingenäht war. Mehr als zwölftausend Dollar in amerikanischen Banknoten. Sie streckte gerade die Hand nach der Tasche aus, als O'Rourke sagte: »Das ist nicht euer Ernst.«
Balan lächelte, und das Funkeln seiner echten Zähne war unheimlicher als das Goldgrinsen seines Vaters. »Aber gewiß doch«, sagte der schlanke Zigeuner. Er sagte etwas auf ungarisch, worauf die Männer im Kreise lachten.
O'Rourke hinderte Kate daran, die Handtasche aufzumachen, indem er ihr eine Hand um das Handgelenk legte. »Diese Frau sucht nach ihrem Kind«, sagte er.
Balan sah ihn gleichgültig an. »Es war unachtsam von ihr, es zu verlieren.«
O'Rourke ging einen Schritt auf den Zigeuner zu. »Ihr Kind wurde ihr gestohlen.«
Balan zuckte die
Weitere Kostenlose Bücher