Kinder der Nacht
Achseln. »Wir sind die Rom. Viele unserer Kinder werden gestohlen. Wir haben selbst viele Kinder gestohlen. Was geht das uns an.«
»Ihr Kind wurde von den Strigoi gestohlen«, sagte O'Rourke. »Den Priculiti ... vrkolak.«
Eine unmerkliche Bewegung ging durch den Kreis der Männer, als wäre ein kalter Wind über das Flußbett gestrichen.
Balan zog den Schlitten der automatischen Pistole nach hinten. Kate fand, daß das Geräusch sehr laut klang. »Wenn die Strigoi ihr Kind haben«, sagte der Zigeuner leise, »dann ist ihr Kind tot.«
O'Rourke ging noch einen Schritt auf den Mann zu. »Ihr Kind ist ein Strigoi«, sagte er.
»Devel«, flüsterte der Woiwode Cioaba und streckte Kate zwei Finger entgegen.
»Wenn wir unsere Freunde in Chişineu-Criş treffen, bezahlen wir euch weitere tausend Dollar für die Gefahren, die ihr heute nacht erdulden mußtet«, sagte O'Rourke.
Balan schnaubte höhnisch. »Wir lassen eure Leichen hier liegen und nehmen euer ganzes Geld.«
O'Rourke nickte langsam. »Und damit habt ihr dann bewiesen, daß die Rom ohne Ehre sind.« Er wartete eine halbe Minute, bevor er weiter sprach. Das einzige Geräusch kam von dem unsichtbaren Fluß, der hinter ihnen rauschte. »Und ihr werdet den Strigoi und den Bürokraten der Nomenklatura, die ihnen dienen, den Sieg überlassen haben. Wenn ihr uns ziehen laßt, holen wir das Kind von den Strigoi zurück.«
Balan sah den Priester an, dann Kate, dann sagte er etwas zu seinem Vater. Der Woiwode Cioaba antwortete nachdrücklich auf ungarisch.
Balan steckte die automatische Pistole in seinen zerknitterten Blazer. »Eintausend amerikanische Dollar in bar«, sagte er.
Die Männer gingen zu ihren Fahrzeugen zurück, als hätten sie nur angehalten, damit sich alle die Beine vertreten konnten. Kate stellte fest, daß ihre Hände zitterten, als sie und O'Rourke, Balan und dessen Vater zum Auto zurück folgten. »Was ist ein Strigoi?« flüsterte sie.
»Später.«
O'Rourke bewegte die Lippen, als sich der Landrover in Bewegung setzte und dem trüben Sonnenaufgang entgegenfuhr, und Kate stellte fest, daß er betete.
Das Dorf Chişineu-Criş lag an der rumänischen Straße E 671 nördlich von Arad, aber die Landrover fuhren nicht weiter als bis zum Stadtrand.
Lucians blauer Dacia wartete vor der vernagelten Kirche an der Westseite der Stadt, wie er es versprochen hatte. Das Licht reichte aus, daß man das Grinsen des jungen Mannes sehen konnte, als er Kate erblickte.
O'Rourke bezahlte die Zigeuner, während Kate sich von Lucian umarmen ließ. Dann schüttelte dieser dem Priester heftig die Hand und umarmte Kate noch einmal.
»He, geil, ihr habt es echt geschafft. Ihr seid mit den Zigeunerschmugglern durchgekommen. Sensationell.«
Kate lehnte sich an den Dacia und sah den Landrovern nach, die wieder im Wald verschwanden. Sie erhaschte einen letzten Blick auf das Grinsen des Woiwoden Cioaba. Dann sah sie Lucian an. Der Haarschnitt des jungen Medizinstudenten war noch strenger, fast Punk, und er trug eine Baseballjacke der Oakland Raiders.
»Haben Sie eine gute Reise gehabt?« fragte Lucian.
Kate schleppte sich auf den Rücksitz des Dacia, während Lucian auf dem Fahrersitz Platz nahm und O'Rourke das Gepäck im Kofferraum verstaute.
»Ich werde schlafen, bis wir in Bukarest sind«, sagte sie und legte den Kopf auf das rissige Vinyl des Sitzes. »Du fährst.«
Kapitel 24
Kate befand sich wieder im Orient-Expreß, aber sie konnte sich nicht erinnern, wie oder warum sie dort hingekommen war. Das Abteil war noch kleiner als das, in dem sie von Budapest nach Lokosháza gefahren waren, und dieses hatte nicht einmal ein Fenster. Sie und O'Rourke mußten sich noch enger als vorher zusammendrängen und hatten die Beine fast ineinander verschlungen, wie er ihr so gegenüber auf dem niedrigen Brett saß. Die Pritsche, auf der sie selbst saß, war jedoch größer und mit der Goldbrokatdecke und den übergroßen Kissen bedeckt, die sie und Tom vor Jahren in Santa Fe gekauft hatten. Und es war wärmer als vorher in dem Abteil, viel wärmer.
Sie und O'Rourke sagten nichts, während die Bewegung des Zuges sie vorwärts und rückwärts und von einer Seite auf die andere schaukelte. Bei jeder Bewegung berührten sich ihre Beine stärker - zuerst die Knie, dann die Innenseiten der Knie, und zuletzt ihre Schenkel -, aber sie rieben sich nicht aus freien Stücken aneinander, sondern stellten passiv, unerbittlich, beharrlich durch das sanfte Schaukeln des
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