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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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sondern die Zukunft unserer Söhne Vlad und Mihnea.
    An dieser Stelle sollte ich noch anfügen, daß ich Voica liebte, jedenfalls so, wie ein Führer von Menschen und Nationen eine Frau lieben kann. Sie war zierlich, mit dunklen Augen und dunkler Haut, aber für gewöhnlich unbeschwerter Laune, und sie gehorchte mir. Bis auf diese Nacht.
    Von unseren beiden Jungs war Mihnea normal geboren worden, aber sein einjähriger Bruder Vlad war mit einer verzehrenden Krankheit geschlagen, die meinen Vater und mich geplagt hatte. Vlad hatte das heimliche Sakrament erst vor Tagen empfangen. Jetzt strahlten seine Augen vor Gesundheit, und ich wußte, daß der Junge wie sein Vater werden und das Sakrament sein ganzes Leben lang verlangen würde.
    Ausgerechnet diese Nacht suchte Voica aus, um Einwände vorzubringen, daß unser Kind so großgezogen werden sollte. Ich legte ihr dar, daß weder das Kind noch ich dies bezüglich eine Wahl hatten; wenn er überleben wollte, mußte er trinken. Das brachte Voica auf. Ihre Mutter war eine heimliche Trinkerin gewesen. Tatsächlich war ihre Mutter als Hexe angeklagt und hingerichtet worden, und ich hatte Voica kennengelernt, als sie an meinem Hof vor Gericht gebracht wurde, um ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Aber Voica hatte das Sakrament niemals gekostet. Statt sie verbrennen oder pfählen zu lassen, brachte ich sie in meinen Palast, ließ ihr meine Zuneigung zuteil werden und gestattete ihr, meine Kinder zur Welt zu bringen. Und nun dankte sie es mir, indem sie auf den Zinnen einherstolzierte, während man die Lagerfeuer von Radu und den Türken über das schwarze Tal des Flusses hinweg sehen konnte, und verlangte, daß der junge Vlad ohne das Sakrament aufwachsen sollte. Sie bezeichnete es als Blasphemie. Sie bezeichnete es als Hexerei. Sie nannte mich Strigoi, wie ihre Mutter.
    Ich unterhielt mich mehrere Minuten mit ihr, doch die Stunde unseres Aufbruchs rückte näher. Ich verkündete, daß die Unterredung beendet wäre.
    Voica war stets eine übertrieben gefühlsbetonte und dramatische Frau gewesen. Wahrscheinlich war das der Grund, ebenso wie die Tatsache, daß ihre Mutter das Blut von Leichen trank, weshalb Voica in Ketten vor meinen Thron geführt worden war. Jetzt folgte sie ihrem Sinn für das Dramatische, sprang auf die Brüstung und drohte, sie würde sich und unsere beiden Babys in den Fluß hinabstürzen, wenn ich ihren Wunsch nicht erfüllte.
    Ich war ihres Gebarens überdrüssig und bestrebt, die Flucht anzutreten, bevor der Mond aufging, sprang ebenfalls auf die Brüstung und entrang ihr unsere beiden Kinder. Da verlor sie das Gleichgewicht. Einen Augenblick dachte ich, das gehörte auch zu ihrem melodramatischen Spektakel, aber dann sah ich das ungespielte Entsetzen in ihrem Gesicht, verlagerte Vlad auf den Arm, mit dem ich Mihnea hielt, und streckte die Hand aus, um sie zu stützen.
    Unsere Fingerspitzen berührten sich. Sie fiel ohne einen Laut nach hinten und verschwand in der Dunkelheit der Kluft wie eine Meerjungfrau, die in tiefere Gewässer taucht. Einer ihrer Schuhe blieb auf dem nassen Stein zurück. Ich behielt diesen Schuh drei Jahrhunderte lang und verlor ihn erst, als ich während einer unbedeutenden Revolution aus einem brennenden Gebäude in Paris fliehen mußte.
    Ich nahm in jener Nacht die Kinder mit und ließ alle anderen im Schloß zurück. Ihre Loyalität bedeutete mir nichts. Sie bedeuteten mir nichts.
    Ich hatte mich unter anderem aus dem Grunde für die Zitadelle Poenari entschieden, weil diese auf zwei Spalten im Felsgestein erbaut war, die mehr als dreihundert Meter zur Höhle mit dem unterirdischen Fluß hinabführte. Die erste Spalte war nur zwanzig Zentimeter breit, aber sie diente bei Belagerung stets als Quelle für frisches Wasser. Die zweite Felsspalte war mit etwas Unterstützung der Steinmetze, welche mit den Bojaren starben, die Schloß Dracula an jenem längst vergangenen Ostersonntag des Jahres 1456 neu aufgebaut hatten, so verbreitert worden, daß ein Mann mit Hilfe von Eisenkabeln und Sprossen hinabklettern konnte.
    Unten, in der geheimen Höhle, die mehr als eine Meile oberhalb des Bergs der Zitadelle zum Argeş führte, warteten die sieben Brüder Dobrin mit verkehrt herum beschlagenen Pferden, um alle zu verwirren, die uns folgten. Die Dobrins führten mich durch das wilde Tal, dann über die geheimen Pässe und gefährlichen verschneiten Ebenen der Făgăraş-Gipfel nach Norden. Hätten wi r nicht Mittsommer geschrieben,

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