Kinder der Nacht
wäre uns selbst dieser Rückzug nach Transsilvanien versperrt geblieben.
Als ich in der Gebirgswildnis südlich von Braşov das Gebiet von Transsilvanien betrat, verlangte ich nach einem Pergament aus Kaninchenhaut und vermacht e das ganze Land im Norden und Westen, soweit das Auge reichte, den gleichmütigen Brüdern Dobrin. Kein Herrscher, die meine Nachfolge in der Walachei, in Transsilvanien und jetzt Rumänien angetreten haben, hat jemals diesem Befehl zuwidergehandelt. Selbst Ceauşescu mit seiner Kollektivierung und Systematisierung ließ diese Parzelle privaten Landes unberührt von seinem sozialistischen Wahnsinn.
Das ist die wahre Geschichte, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, daß sie jemanden interessiert. Nicht einmal die Familie, die vergessen hat, ihren Patriarchen zu ehren und ihm zu gehorchen, obwohl die meisten Nachfahren des jungen Vlad sind, den ich in jener Nacht vor dem Tod gerettet habe.
Mein halb träumender Zustand wird vom Lärm der anreisenden Familienmitglieder gestört. In einem Augenblick werden sie nach oben kommen, mich baden, in kostbare Gewänder kleiden und mir die Kette vom Orden des Drachen um den Hals hängen.
Eine letzte Zeremonie. Ein letzter Akt als Patriarch.
Kapitel 37
Kate und Lucian fuhren im düsteren Licht durch Sibiu: Sibiu, wo mittelalterliche Straßen zu Kopfsteinpflasterplätzen, umgeben von Häusern und Bauwerken mit verschlafenen Dachfenstern, führten.
Sie fuhren durch das Flußtal des Olt, als das Spätnachmittagslicht grauer Dämmerung wich. Die Straße wand sich zwischen steilen Berghängen am Fluß entlang. Eben war die Straße noch breit, glatt asphaltiert und von einer Schotterböschung begrenzt, und im nächsten Augenblick holperten sie durch ausgefahrene Spuren im Lehm, wo ein Straßenbauprojekt angefangen und vor Monaten oder sogar Jahren wieder aufgegeben worden war.
Sie umgingen die Industriestadt Rîmnîcu Vîlcea. Der Dacia mußte aufgetankt werden, aber an der einzigen Tankstelle, wo sie vorbeikamen, stand eine Schlange mit mindestens einer Stunde Wartezeit. Lucian sagte, daß er ein Schwarzmarktdepot für Benzin am östlichen Stadtrand kannte, und sie hielten an, um sich am Steuer abzuwechseln. Nur wenige rumänische Frauen fuhren Auto; wenn sie so wichtig waren, daß sie per Auto reisten, wurden sie in aller Regel chauffiert. Lucian nahm am Lenkrad Platz, fuhr unmittelbar nach dem Stadtrand von der Autobahn ab und erstand Fünfliterflaschen voll Benzin bei einem Lastwagen, der an einem alten Tunnel stand.
Später mußte Kate oft daran denken, wie sehr dieser simple Wechsel am Steuer ihrer beider Schicksale besiegelt hatte.
Kurz nach Rîmnîcu Vîlcea bog Lucian auf der Straße, die in südöstlicher Richtung nach Piteşti führte, auf die Autobahn 730 ab und folgte dieser durch einige spärlich beleuchtete Dörfer in die Dunkelheit der Karpaten. Fünfzehn Kilometer weiter sahen sie die erste Straßensperre in einem Ort namens Tigveni, wo die Straße sich Richtung Curtea de Argeş im Osten oder Suici im Norden gabelte.
»Scheiße«, sagte Lucian. Sie befanden sich gerade auf einer Anhöhe am Ortsrand, als sie die Lichter, die Militärfahrzeuge und zwei schwarze Mercedes sahen, die am Kontrollpunkt hielten. Lucian schaltete die ohnehin schon schwachen Scheinwerfer des Dacia aus, wendete um hundertachtzig Grad und fuhr in den Ort zurück, wo er in eine dunkle Seitenstraße einbog, die kaum mehr als eine Gasse war. Tigveni mochte etwa hundert Menschen in den acht bis zehn Häusern beherbergen, aber heute nacht war der Ort dunkel und still, obwohl es noch nicht einmal acht Uhr war.
»Was jetzt?« flüsterte Kate, die wußte, daß es albern war, zu flüstern, es aber trotzdem tat. Die Pistole lag auf der flachen Ablage zwischen den Vordersitzen.
Lucians Gesicht war gerade noch zu erkennen. »Es sind noch vierzehn Kilometer bis nach Curtea de Argeş«, sagte er. »Dann dreiundzwanzig Kilometer nach Norden, das Tal hinauf bis zur Zitadelle.«
»Über zwanzig Meilen«, flüsterte Kate. »Wir können unmöglich von hier aus zu Fuß gehen.«
Lucian rieb sich die Wange. »Als ich auf der Zitadelle gearbeitet habe, mußte ich regelmäßig nach Rîmnîcu Vîlcea fahren, um Baustoffe und Arbeiter abzuholen. Ab und zu kam es vor, daß die Brücke hier vor der Stadt durch Stürme weggerissen wurde.« Er schlug auf das Lenkrad. »Festhalten, Babe.«
Lucian jagte den Dacia mit ausgeschalteten Scheinwerfern eine unebene Seitenstraße
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