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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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unseren Mut wiedererlangt haben.«
    Mauberly klopfte sich mit einem Bleistift auf die Wange. »Gut, gut. Wissen Sie, Kate, das Komische ist, ich war mein ganzes Leben lang gegen die Todesstrafe, aber wenn ich wie Sie aufwachen und jemanden im Zimmer meines Kindes finden würde ... nun, ich würde nicht einen Augenblick zögern, dem Betreffenden auf der Stelle das Lebenslicht auszupusten.« Er legte den Bleistift verlegen auf den Schreibtisch zurück.
    »Ken«, sagte Kate, »ich weiß Ihre Anteilnahme zu schätzen, aber Sie wollten über etwas anderes mit mir reden, oder nicht?«
    Der Verwaltungschef lehnte sich auf seinem Sessel zurück und bildete mit den Fingern einen Giebel. »Ja, Kate. Ich hatte noch keine Möglichkeit, Ihnen zu sagen, was für eine gute Arbeit Sie in Rumänien geleistet haben ... sowohl vor Ort wie auch mit dem anschließenden Bericht. Billington und Chen bei der WHO haben mir gesagt, daß er maßgeblich bei der Festlegung einer Politik für die Hilfeleistungen gewesen ist. Maßgeblich.«
    Kate lächelte. »Aber was habe ich in letzter Zeit für Sie getan, richtig?«
    Mauberly erwiderte das Lächeln. »Ganz so würde ich es nicht ausdrücken, Kate. Aber es ist einige Monate her, seit Sie sich zum letzten Mal rückhaltlos einem neuen Projekt verschrieben haben. Ich hatte gehofft, Sie würden bei den Hepatitis B-Forschungen in Colorado Springs mitmachen ... nicht, daß Bob Underhill nicht fähig wäre, verstehen Sie mich nicht falsch ...«
    »Aber ich habe viel Zeit und Ressourcen des Zentrums auf den Versuch verwendet, meinen Sohn zu heilen«, sagte Kate leise.
    Der Verwaltungschef rieb die Finger aneinander. »Das ist vollkommen verständlich, Kate. Ich hatte gehofft, ich könnte mich mit Ihnen über verschiedene Alternativen unterhalten. Ein Freund von mir, Dick Clempton, arbeitet in der Kinderklinik in Denver, und er ist einer der besten ADA-Experten in ...«
    Kate machte den Aktenkoffer auf, holte eine dicke Akte heraus und schob sie ihrem Boß auf dem Schreibtisch hin. Mauberly blinzelte.
    »Lesen Sie das, Ken«, sagte sie.
    Er holte ohne ein weiteres Wort die Brille aus der Brusttasche des Hemdes und fing an zu lesen. Nach der dritten Seite nahm er die Brille wieder ab und sah sie an. »Sind das unumstößliche Tatsachen?«
    Kate nickte. »Sie sehen, wer die Aufnahme- und Laborberichte unterschrieben hat. Donna McPherson hat die Tests zweimal wiederholt. Es besteht kein Zweifel daran, daß der Körper des Patienten - Joshuas Körper - irgendwie die erforderlichen genetischen Komponenten kannibalisiert, um sein eigenes Immunsystem wieder aufzubauen.«
    Mauberly überflog die restlichen Seiten, ließ die technischen Beschreibungen aus und studierte die Zusammenfassung. »Mein Gott«, sagte er schließlich. »Haben Sie schon mit jemand außerhalb des Zentrums darüber gesprochen?«
    »Ich habe mir ein wenig Rat geholt, ohne alles preiszugeben, was Sie da vor sich sehen«, sagte Kate. »Yamasta am International Center for Interdisciplinary Studies of Immunology der Georgetown University, Bennet von der SUNY Buffalo, Paul Sampson am Trudeau ... alles ausgezeichnete Leute.«
    »Und?«
    »Und keiner hat auch nur eine Hypothese, wie ein Kind mit SCID eine spontane Remission einer derart ausgeprägten Hypogammaglobulinanämie nur mit Bluttransfusionen als Katalysator bewerkstelligen kann.«
    Mauberly rieb sich die Unterlippe mit dem Bügel seines Brillengestells. »Und haben Sie eine? Eine Hypothese, meine ich.«
    Kate holte tief Luft. Sie hatte sich bisher noch gegenüber niemand geäußert. Aber jetzt hing alles davon ab, daß sie ihren Boß in ihre Gedanken einweihte: nicht nur die unvorstellbaren Durchbrüche, die sie für möglich hielt, nicht nur ihr Job, auch Joshuas Leben.
    »Ja«, sagte sie, »ich habe eine Theorie.« Da sie unmöglich sitzen bleiben konnte, stand Kate auf und stützte sich auf die Stuhllehne. »Ken, stellen Sie sich eine Gruppe Menschen vor - sagen wir einmal, eine weitverzweigte Familie -, die in einer entlegenen Region eines isolierten osteuropäischen Landes lebt. Nehmen wir an, diese Familie leidet unter einem gravierenden, aber klassischen Fall von SCID ... einer Form der Krankheit, die alle vier Spielarten in sich vereint: Retikulardysgenese, Schweizer Typus, ADA-Mangel und SCID mit B-Lymphozyten.«
    Mauberly nickte. »Ich würde sagen, diese Familie wäre innerhalb einer Generation ausgestorben.«
    »Ja«, sagte Kate und beugte sich noch weiter nach vorn, »es sei

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