Kinder des Donners
nicht mehr so elend gefühlt!«
O nein! Wenn ich die Macht über meinen »Vater« verliere, welche Aussichten habe ich dann noch ...?
Doch David nahm all seine Kraft zusammen und legte eine Hand beschwichtigend auf Harrys rechtes Handge- lenk, allerdings nicht so fest, daß es ihn beim Lenken behindert hätte. Wenn Worte und Ausstrahlung nicht
mehr wirkten, dann schaffte es seiner Erfahrung nach meistens die körperliche Berührung.
»Bitte, mir zuliebe, fahr zu dem Haus dort. Eines Ta- ges wirst du es verstehen, das verspreche ich dir.«
Wenn Louis Parker wirklich existiert. Wenn er noch am Le- ben ist. Wenn ich ihn ausfindig machen kann. Wenn ich ihn dazu bewegen kann, die Dinge für mich zu erklären, bevor ich selbst eine Erklärung abgeben muß ...
Doch wenn er tot ist und sich gar nicht versteckt? Oder gar...?
Die anderen Möglichkeiten waren zu schrecklich, als daß er auch nur daran hätte denken mögen. David sagte laut, um seinen aufgewühlten Geist zu beruhigen: »Hübsches altes Anwesen, nicht wahr? Eine Schande, daß es so heruntergekommen ist ... Sieh mal, da ist je- mand den wir fragen können.«
»Auf italienisch?« knurrte Harry, doch er brachte den Wagen zum Stehen.
Ein dicklicher Mann mittleren Alters knipste abgestor- bene Blüten von Pflanzen, in einer Umgebung, die einst
ein herrlicher, kunstvoll angelegter Garten gewesen sein mußte, mit Springbrunnen, Treppen und Marmorvasen. An mehreren Stellen waren die Treppenstufen und Va-
sen gesprungen, und keiner der Brunnen war in Betrieb.
»Buon giorno!« rief David, dem noch rechtzeitig einge- fallen v/ar, daß er an einer Kurbel drehen mußte, um das Fenster zu öffnen. (Beim Rolls-Royce ging das natürlich per Knopfdruck.)
»II Signor Tessolari?«
Ein heftiges Kopfschütteln.
»Per favor, dov'e il Signore?«
Damit war David ungefähr an dem Punkt angekom- men, wo seine Italienischkenntnisse erschöpft waren. Vor seiner Abreise hatte er sich noch einmal einen soge- nannten »Schnellkurs« auf Videoplatte angesehen, doch
obwohl er erst vor wenigen Stunden in diesem Land an- gekommen war, hatte er seinen begrenzten Nutzen be-
reits erkannt.
Es folgte jedoch eine kleine Glückssträhne.
Auf englisch fragte der stämmige Mann. »Sind Sie Amerikaner?«
»Nein, Engländer.«
»Hm! In welcher Angelegenheit wollen Sie Renato sprechen?«
Das, so erinnerte sich David, war der Name von Gi- ar.Marcos >Vater<. Er beriet sich einen Moment lang mit sich selbst, dann entschied er sich für eine nichtssagen- de Floskel.
»Wir haben etwas Persönliches mit ihm zu bespre- chen.«
Es entstand eine Pause. Schließlich seufzte der Mann.
»Sehr wohl, aber Sie müssen sich gedulden. Ich bin
Fabio Bonni, GianMarcos Onkel und gleichzeitig sein
Hauslehrer.« Er zögerte, dann ließ er ein plötzliches, ziemlich unangenehmes Lachen vernehmen. »Das heißt, ich sollte eigentlich sein Hauslehrer sein. Ich habe ihn jedoch noch nicht dazu gebracht, auch nur einen einzigen Satz auf französisch oder englisch zu sprechen. Er ist keineswegs dumm. Schon jetzt, in seinen jungen
Jahren, hat er die Fäden der Familiengeschäfte besser in
der Hand als Renato ... Oh, stellen Sie doch den Wagen ab, und steigen Sie aus! Ich weiß nicht, wie lang es noch dauert, bis er zurückkommt, aber wir können auf der
Terrasse ein paar kleine Erfrischungen zu uns nehmen. Sie sind Engländer, also werden Sie wahrscheinlich Tee wünschen. Nun, Tee können wir uns immer noch lei- sten.«
Spott lag in seiner Stimme und seinem Gesichtsaus- druck. David spürte ein Prickeln in den Nackenhaaren, und er wünschte sich tausend Meilen weit weg.
Leute wie er sind mir schon öfter begegnet. Aber so waren sie erst, wenn ich mit ihnen fertig war.
Die Möglichkeit, daß GianMarco ein Rivale für ihn sein könnte, wie er noch keinen erlebt hatte, machte
ihm langsam Angst. Doch letzten Endes — anders konnte es gar nicht sein — mußte er mit seinen in Kali- fornien gesammelten Erfahrungen einfach besser infor-
miert sein, besser in der Lage, sich auf Situationen ein- zustellen, stärker als jemand, der in einer mehr oder we- niger bäuerlichen Umgebung im Mezzogiorno lebte ...
Der Mann, der sich als Fabio Bonni vorgestellt hatte,
rief nach einem Dienstboten, während er sie ums Haus herum zu der versprochenen Terrasse führte, von wo man einen Ausblick auf ausgetrocknete Wasserbecken
und wild wucherndes Gestrüpp hatte. Eine Bedienstete erschien, eine ältere, kurzsichtige Frau, die beim An-
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