Kinder des Donners
daß auch einige Rennpferde aus dem Königlichen Stall das gleiche Los ereilt hatte, erinnerte sich nicht nur
der Comet, sondern auch TV-Plus an ihn, und sie erteil- ten ihm gemeinsam einen Recherche-Auftrag.
Die Tatsache, daß Bernie die Suche nach Louis Parker aufgegeben hatte, hatte wie ein Stopzeichen gewirkt, und da Claudia sich immer noch nicht ganz von ihrer Krankheit erholt hatte (die übrigens, wie Bernie voraus- gesagt hatte, nichts mit dem Heringswurm zu tun hatte;
vielmehr waren die Röntgenaufnahmen, die angeblich die ihren waren, >versehentlich< mit denen einer ande- ren Person vertauscht worden), hatte auch sie sich in
letzter Zeit nicht sehr in die Story über die kriminellen Kinder vertieft.
Trotzdem dachte er daran, sie zu erwähnen, als Jake anrief, um den anderen Auftrag zu bestätigen, doch war er keineswegs überrascht über die ernüchternde Antwort: »Was Sie mir bis jetzt geliefert haben, reicht nicht ein- mal für die Seite zehn, von der Seite eins gar nicht zu reden!«
Seltsamerweise ließ Ellen die Sache jedoch noch im- mer keine Ruhe. Peter hatte sich von ihr nach einem Be- such bei Claudia im Krankenhaus auf der Rückfahrt da- zu überreden lassen, ihr noch die wenigen Einzelheiten zu erklären, die sie bis jetzt noch nicht kannte, und seit- her hatte sie es übernommen, mit der Anlage bei ihnen zu Hause alle möglichen Erkundigungen einzuziehen. Bis jetzt hatte sie keine oder wenige Fortschritte zu ver- zeichnen gehabt (war das ein Wunder, wenn Bernie, der
erfahrene Hacker, in eine Sackgasse geraten war?), aber
wenigstens war sie auf diese Weise beschäftigt. Die
Stimmung im Land verdüsterte sich mit dem Einbruch des Herbstes, es war regnerisch und neblig und kalt, und die Nachrichten, die nicht in den Zeitungen oder im
Fernsehen erschienen — Nachrichten, auf die Peter als
Journalist Zugriff hatte —, strotzten vor rassistischen Übergriffen, ungeklärten Fällen von Brandstiftung und
willkürlichen Gewalttaten auf der Straße. Selbst wenn ein paar der Familien ihrer Schulkameraden, die sich nicht von der immer unerträglicher werdenden Atmo-
sphäre hatten mitreißen lassen, Ellen zum Tee oder zu einer Geburtstagsparty einluden, lehnte sie ab, und seit vielen Wochen schon hatte sie keiner ihrer früheren Jun- genbekanntschaften mehr ausgeführt.
Was für ein Leben ist das für einen Teenager? Ich wünschte, ich wüßte, was ich tun soll. .. aber man kann sie doch nicht zu >ihresgleichen< abschieben, wie es mir so viele Schlauberger empfehlen. Wer sind ihresgleichen? Ist sie nicht ebenso bri- tisch wie ich ?
Eine Zeitlang versuchte er sie dadurch etwas zu ent-
schädigen, daß er ihr Taschengeld erhöhte und ihr Ge-
schenke kaufte, die er sich kaum leisten konnte. Nach einer oder zwei Wochen merkt er jedoch, daß sie sie ein- fach in irgendeinen Schrank packte; das war also nicht die richtige Methode. Das einzige positive Verhalten,
durch das er etwas erreichen konnte, war, mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Doch wenn er seinen Zahlungsver-
pflichtungen für ihr neues Zuhause nachkommen woll- te, dann mußte er jeden Job annehmen, der sich ihm bot, gleichgültig, wieviel Zeit er in Anspruch nahm und wie oft er dadurch gezwungen war, sein Gelöbnis, das er sich selbst gegenüber abgelegt hatte, sie niemals mehr über Nacht allein zu lassen, zu brechen.
Es war ein Dilemma. Und es zermürbte ihn. Doch El- len selbst schien sich damit abgefunden zu haben und machte keinen unglücklichen Eindruck. Er schob eine Lösung hinaus, immer wieder und wieder.
Und wieder.
Er stürzte sich schonungslos in die Rennpferd-Story, auch wenn sie fast soviel an Bestechungsgeldern ver- schlang, wie er als Honorar dafür bekam. Aber so war das heutzutage nun mal. Alle Zeitungsverlage und kommerziellen Fernsehsender unterhielten sogenannte
Bereitschaftskonten in ausländischen Steueroasen, von denen sie solche >Werbegelder< abheben konnten ... Ei- ner der Hauptgründe, warum die finanzschwache BBC immer mehr zum Sprachrohr der offiziellen Propaganda
wurde, war der, daß sie nicht über derartige Extra-Quel- len verfügte und der Regierung die Stiefel lecken mußte, um zu überleben.
In dem Bewußtsein, daß er genug verdient hatte, um sich und seine Tochter mindestens drei Monate lang über Wasser halten zu können, wenn er sich etwas ein- schränkte (und da es immer weniger zu kaufen gab, würde das nicht allzu schwerfallen, obwohl er seinen
momentanen Wohlstand ausgenutzt hatte und eine gro-
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