Kinder des Holocaust
Mikrofons. »Mr. Dangerfield«, sagte er hinein, »hier spricht Stockstill im Landkreis West Marin, Kalifornien. Ich bin Arzt.« Er empfand seine Bemühungen als völlig aussichtslos. Warum sollte er sich hier noch länger herumärgern? Doch andererseits ...
»Erzählen Sie ihm von Bluthgeld«, sagte Hoppy plötzlich.
»Na schön«, sagte Stockstill. »Wird gemacht.«
»Nennen Sie meinen Namen«, verlangte Hoppy. »Erzählen Sie ihm, daß ich Bluthgeld aus dem Weg geräumt habe. Hören Sie her, Doktor, so wird's sich anhören, wenn er die Meldung durchgibt.« Der Phokomelus warf sich in eine sonderbare Positur, dann drang, wie schon bei anderer Gelegenheit, die Stimme Walt Dangerfields aus seinem Mund. »Also, liebe Leute, jetzt habe ich für alle eine wirklich ganz, ganz großartige Neuigkeit – ich glaube, ihr werdet alle einen Grund zur Freude haben. Offenbar ist ...« Der Phokomelus verstummte, denn aus dem Lautsprecher war ein gedämpfter Laut ertönt.
»...lo, Doktor. Hier spricht Walt Dangerfield.«
»Ausgezeichnet«, rief Dr. Stockstill augenblicklich ins Mikrofon. »Dangerfield, ich möchte mit Ihnen über die Schmerzen sprechen, die bei Ihnen auftraten. Hören Sie mal, haben Sie eine Papiertüte oder so was in Ihrem Satelliten? Ich möchte es bei Ihnen einmal mit einer Kohlendioxyd-Therapie versuchen. Ich hätte gerne, daß Sie die Tüte nehmen und hineinblasen. Dann blasen Sie fortwährend hinein und atmen auch aus der Tüte, so daß sie schließlich reines Kohlendioxyd atmen. Haben Sie mich verstanden? Das ist nur so ein Einfall, aber er hat eine durchaus vernünftige Grundlage. Sehen Sie mal, zuviel Sauerstoff löst gewisse Reaktionen im Zwischenhirn aus, die im vegetativen Nervensystem einen Teufelskreis verursachen können. Zu den Symptomen eines überaktiven vegetativen Nervensystems zählt die Hyperperistaltik, und es ist möglich, daß das es ist, woran Sie leiden. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um ein Symptom von Angst.«
Der Phokomelus schüttelte den Kopf, wendete sein Mobil und fuhr zur Seite.
»Entschuldigen Sie ...«, drang die Stimme schwach aus dem Lautsprecher. »Ich komme nicht recht mit, Doktor. Sie sagen, in eine Papiertüte soll ich blasen? Geht's auch mit einem Plastikbeutel? Können dabei keine Vergiftungserscheinungen vor kommen?« Im nörgligen Tonfall der Unzulänglichkeit quengelte die Stimme unsicher weiter. »Gibt's keine Möglichkeit, aus den Chemikalien, die ich hier oben vorrätig habe, Phenobarbital synthetisch herzustellen? Ich gebe Ihnen eine Bestandsliste durch, und eventuell ...« Statik unterbrach Dangerfield; als man ihn wieder verstehen konnte, redete er von etwas völlig anderem. Vielleicht liegt Konzentrationsschwäche vor, überlegte Stockstill.
»Die Isolation im Weltraum«, erläuterte Stockstill, »geht mit ihr eigentümlichen Phänomenen von Zerrüttung einher, die man mit dem vergleichen kann, was man früher ›Kabinenangst‹ nannte. Ein spezifischer Umstand sind Rückkopplungswirkungen bei den Angstzuständen, die durch anhaltende Schwerelosigkeit entstehen, so daß sich psychosomatische Folgen ergeben.« Er hatte, während er noch sprach, den Eindruck, völlig falsch vorzugehen, daß bereits alles schiefgegangen sei. Der Phokomelus hatte sich, anscheinend angewidert von der Unterhaltung, vollends entfernt. Vermutlich bastelte er an irgend etwas. »Es ist meine Absicht, Mr. Dangerfield«, sagte Stockstill, »diese Art von negativem Feedback zu unterbrechen, und durch den Trick mit dem Kohlendioxyd könnte sich diese Absicht verwirklichen lassen. Sobald wir die Symptome der Spannung gelindert haben, wäre es möglich, mit einer Form von Psychotherapie anzufangen, unter anderem der Aufarbeitung vergessenen traumatischen Materials.«
»Ich habe mein traumatisches Material nicht vergessen, Doktor«, entgegnete der Diskjockey mit trockenem Humor. »Ich erlebe es jetzt, in diesem Augenblick. Es ist rings um mich. Es handelt sich um eine Form von Klaustrophobie, und ich leide ungeheuer stark daran.«
»Klaustrophobie ist eine Art von Phobie«, sagte Dr. Stockstill, »die sich insofern direkt auf das Zwischenhirn zurückführen läßt, als sie eine Störung des Gefühls der räumlichen Wahrnehmung ist. Sie steht im Zusammenhang mit der Panikreaktion auf eine tatsächliche oder eingebildete Gefahr. Sie entsteht durch den unterdrückten Wunsch, die Flucht zu ergreifen.«
»Na, wohin sollte ich denn auch flüchten, Doktor?« meinte Dangerfield.
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