Kinder des Judas
dagegen wollte den Gegenbeweis antreten. Zwei Wissenschaftler im Wettstreit.
Sie öffnete die Tür und ließ Giure in die Küche. »Du sprichst mit niemandem darüber«, schärfte sie ihm aufgeregt flüsternd erneut ein, kam seinem Gesicht dabei ganz nahe – und konnte nicht widerstehen. Sie wollte wissen, wie es war, mit Leidenschaft zu küssen und nicht bloß wie eine Tochter den Vater.
Begierde und wissenschaftliche Neugier mischten sich, sie beugte sich vor und berührte seine Lippen mit ihren. Nur kurz und flüchtig, doch es genügte, um ein Kribbeln in ihr auszulösen; dann sah sie ihm in die Augen.
Giure stand stocksteif, es war für ihn zu überraschend gekommen.
Scylla wandte sich lächelnd ab und betätigte den Mechanismus; rumpelnd senkte sich die Rampe ins unterirdische Reich. »Komm, Giure. Hab keine Angst. Nichts von dem, was ich dir zeige, kann dir etwas anhaben.« Sie eilte die Schräge hinab.
Er folgte ihr zaudernd, doch seine Zuneigung und die Wissbegier siegten. Die Führung durch die drei Stockwerke begann, und Giure verschlug es bereits nach dem ersten Raum, in dem die Seziertische standen, merklich die Sprache. Den Blick durch das Mikroskop fand er faszinierend, und zuerst wollte er nicht glauben, dass Blut so aussah.
Scylla beobachtete ihn genau und merkte sich seine Reaktion, während sie ihm erklärte, was sie mit der Upirina gemacht hatten und weswegen; allerdings verschwieg sie ihm, dass Karoldie Brunnen der Dörfer mit Essenzen versah. So weit würde sie nicht gehen. Noch nicht.
Als sie den Raum mit den Präparaten betraten und sie ihm die aufgeschnittenen Köpfe zeigte, um die Maserungen des Gehirns zu verdeutlichen, verdrehte Giure die Augen und brach auf dem Boden zusammen.
Scylla lachte leise und nahm das Riechsalz, um ihn wieder auf die Beine zu bringen. Kalkweiß wankte er aus dem Raum und lehnte sich an die Gangwand. »Das ist … schrecklich«, keuchte er und rang mit der Übelkeit. »So viele … Menschen … Glieder …«
»Wir nennen sie Präparate«, sagte sie und schloss die Tür, damit er den Anblick nicht länger ertragen musste. »Sie sind wichtige Anschauungsobjekte, die wir über lange Zeit aufbewahren und betrachten können.«
»Und woher stammen sie?« Giure stieß auf und zwang sich sichtlich, nicht dem Drang nachzugeben, seinen Magen vor die Füße des Mädchens zu speien.
»Wir kaufen sie in den großen Städten, wie es alle Wissenschaftler tun«, log sie. Später würde sie ihm berichten, dass einige der Präparate von den Friedhöfen der Umgebung herrührten. Sie nahm seine Hand und führte ihn zurück in die Küche. »Wie hat es dir gefallen? Wäre das Forschen auch etwas für dich?«
Noch immer bleich, setzte er sich auf den Stuhl und schaute sie an. »Du bist eine seltsame Frau«, sprach er nachdenklich und legte eine Hand an seine Stirn. »Ich muss jetzt über viele Dinge nachdenken.« Er stand wankend auf, Scylla stützte ihn. Giure schauderte. »Wie hältst du das aus? Die Toten, die abgetrennten Glieder und aufgeschnittenen Leiber, und sogar mit Upiren kämpft ihr, um …«
»Ich mache das seit meiner Kindheit«, antwortete sie freundlich – und stahl sich einen zweiten Kuss. Dieses Mal presste sieihren Mund länger auf seinen. Während er die Augen schloss, hielt sie ihre geöffnet und beobachtete seine Züge. Es schien ihm zu gefallen. Wie ihr. Sie zog sich zurück, leckte mit der Zunge über die Lippen und schmeckte ihn. »Dafür habe ich niemals gelernt, wie man Ziegen hütet.«
»Und das ist sicher schwieriger zu lernen, als einen Toten aufzuschneiden …« Er grinste, und die Farbe kehrte in seine Wangen zurück. »Ich muss gehen, Scylla. Es wird dunkel draußen, und Elisabetha wird mit dem ganzen Dorf vor der Mühle aufmarschieren, wenn ich nicht vor der Nacht zurück bin.« Giure ging zur Tür.
»Ich begleite dich«, sagte sie sofort und warf sich ihren Mantel über.
»Denkst du, ich kann nicht auf mich allein achtgeben?« Er klang etwas beleidigt.
»Doch, aber ich bin sehr gerne in deiner Nähe.« Sie öffnete die Tür und ging voraus. »Wir haben uns zu lange nicht mehr gesehen.«
»Das stimmt, Scylla.« Er lächelte und fasste sie bei der Hand. Krähen lösten sich von den Zinnen und stiegen krächzend in den sich verfinsternden Himmel, als wollten sie die Dunkelheit begrüßen.
Schweigend schritten sie den Weg entlang, hinaus aus dem Wald und in Richtung des Dorfes. »Du hast einmal diese Upire erwähnt, die Kinder des
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