Kinder des Judas
es sein wird«, murmelt sie.
Der Satz ist mir Warnung genug. Ich hebe die Pille auf und reiche sie an Frau Ulmann, und da bemerke ich ihn. Er ist ins Zimmer getreten und macht sich bereit, die alte Dame mitzunehmen. Ich schaue mich suchend um, doch ich entdecke nichts Sichtbares. Es bleibt bei dem Gefühl, dieser Sicherheit, dass er für ein lebendiges Wesen gekommen ist, um es beim Sterben zu begleiten. Das wiederum wäre gut, und ich könnte mir ein blutiges Stück Arbeit sparen.
Sie sieht, dass ich mich auf etwas konzentriere. »Was ist, Kind?« Dann ächzt Frau Ulmann und greift sich erneut an die Brust. Sie keucht und hustet, ihre Atmung beschleunigt sich. Die Finger zerdrücken die Kapsel, und ich muss schaudernd an Marek denken. Kleine silberne Kügelchen rieseln in die Falten des Lakens. Frau Ulmann stirbt –
– aber der Tod geht wieder!
Ich spüre deutlich, dass er sich abwendet und entfernt. Aus dem Zimmer ist er schon gewichen, und das bedeutet: Meine Nachfahrin wird diese Welt verlassen und
doch
bleiben. Gevatter Tod zieht sich zurück, weil er nicht die widernatürliche Geburt einer Aeterna bezeugen will.
»Helfen Sie mir«, hechelt Frau Ulmann, und der Schmerz verzerrt ihr Gesicht furchtbar. Sie reckt den rechten Arm zu mir, die andere Hand hält sich den Magen. »Ich will nicht leiden. Bitte, tun Sie etwas …« Sie heult auf, stöhnt und windet sich. Es ist ein schreckliches Elend, und mir tut der Anblick in der Seele weh. Meine Finger schließen sich um den Dolch, ich ziehe ihn und erhebe mich, um an ihr Bett zu treten.
Es ist anders als sonst. Ich sage mir, dass ich sie nicht umbringe. Sie hat den Freitod gewählt, der statt einer Erlösung nun hundertfache Qualen für sie bedeutet. Frau Ulmann ist immer noch mein Kind, mein Geschöpf, meiner Linie entsprungen.
»Viktoria Susanna Louisa Sarah«, sage ich leise zu ihr undstehe an ihrer Seite, gehe in die Hocke und lege die freie Hand auf ihre Stirn. »Sei ruhig, meine Kleine. Ich bin bei dir.«
Sie beruhigt sich wirklich. Es ist das erste Mal, dass sie jemanden bei sich hat, der wirklich ihre Mutter sein könnte. Und sie ist gekommen, um sie zu töten. Zu erlösen, sage ich mir selbst und hebe die Waffe. Die Klingenspitze zielt auf das Herz.
»Es tut nicht weh, Kind«, flüstere ich ihr zu und streichele ihr die Stirn. »Lieg still.«
Sarah nickt und sieht trotz ihres Leidens glücklich aus. »Wie wird es sein, als Vampirin zu leben?«, stöhnt sie und umfasst meine bewaffnete Hand, als wollte sie sich selbst den Stoß geben.
»Schrecklich«, antworte ich behutsam und gebe ihr einen Kuss auf den Haaransatz. Sie riecht sehr gut und gepflegt. »Deswegen kann ich es dir nicht erlauben, Sarah.« Ich steche abrupt zu und akzeptiere keinen Widerspruch. In diesem Fall bin ich eine autoritäre Mutter.
Die Damaszenerklinge gleitet an den Rippen vorbei in sie hinein und zerstört das alte Herz auf Anhieb. Das Leuchten in ihren Augen, die meinen so sehr gleichen, erlischt, und ich spüre den Tod wieder in meiner Nähe. Er ist zurückgekehrt, um ihre Seele mit sich zu tragen. Meine Tochter endet keinesfalls in der Hölle. Dieses Schicksal wird ihr erspart bleiben.
Beim Blick auf ihre friedlichen Züge überkommt es mich. Durch die Ähnlichkeit sehe ich mich plötzlich selbst tot daliegen. Mein Wunsch liegt buchstäblich vor mir, eine Verheißung von Frieden.
Vermutlich.
Sicher bin ich mir nicht. Ob die Hölle für mich eine Ausnahme wegen guter Führung in den letzten Jahrhunderten macht, oder wiegt mein fatales Ausrasten nach dem Kampf gegen Madman schwerer?
Ich schließe Sarah die Augen und berühre ihre noch warmenWangen. Das Messer lasse ich, wo es ist, damit kein Blut aus der Wunde fließt und die Bettwäsche beschmiert.
Mein Entschluss ist, dass ich sie mitnehmen und sie auf dem Friedhof im Familiengrab beisetzen werde, ohne dass es jemand merkt. Der Grabschmuck besteht aus einfachem, schönem Efeu, den man zur Seite schieben kann, und er wird die frischen Spuren in der Erde perfekt überdecken. Niemand käme auf den Gedanken, die alte Dame im Familiengrab zu suchen. Sie hat eine letzte Ruhe verdient.
Ich hebe Sarah an und stelle fest, dass sie sehr leicht ist. Osteoporose und mangelnder Appetit haben sie zu einem Leichtgewicht werden lassen. Ich drehe mich zum Fenster und überlege, ob ich den Sprung wagen soll oder ob ich damit der Spurensicherung zu viele Abdrücke im Kies hinterlasse. Besser wäre es, wenn ich durch die Haustür
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