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Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
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über den Oberarm. »Aber kann es nicht auch sein, dass Sie vor dem Verlust von Elvira flüchten?«
    Viktor senkte den Blick. »Davor kann ich nicht flüchten, Vater. Es gibt keinen Ort der Welt, an dem ich ihr Gesicht nicht vor mir sehe«, sagte er leise. »Aber zu einem gewissen Teil haben Sie recht. Hier ist es am schlimmsten. Zu viel erinnert mich an sie. Ich muss in die Welt, bis der größte Schmerz vergangen ist. Erst dann kann ihn ihren Tod ertragen – und Susanna heiraten, so wie Ihr es wünscht.«
    Sein Vater grummelte etwas Unverständliches vor sich hin, dann drückte er ihn unbeholfen an sich und klopfte ihm auf die Schulter. »Nun, dann … dann ist alles gesagt. Geben Sie gut auf sich acht, Sohn.«
    »Das werde ich.« Viktor hakte sich bei ihm unter, und gemeinsam gingen sie zur Tür. Ein Diener brachte Tassilos Mantel, Hut und Handschuhe, und Viktor half seinem Vater beim Ankleiden.
    »Viel Erfolg, Viktor«, verabschiedete er sich. »Bei allem, was Sie sich vorgenommen haben.«
    »Den werde ich haben, Vater.«
    Während Tassilo die Stufen zur wartenden Kutsche herabging, sah Viktor ihm nach, aber seine Gedanken waren bei seiner verstorbenen Großcousine.
    Seine Liebe zu Elvira würde niemals verebben, ganz gleich, wie weit er von seiner Heimat wegging. Was zwölf Jahre andauerte und als die unschuldige Liebe zweier Kinder begonnen hatte, würde bis ans Ende aller Tage währen.
    Dennoch hoffte er, dass der Schmerz des Verlusts durch die neuen Eindrücke abklang, die er im Osten gewinnen würde. Dabei setzte er große Erwartungen in das Phänomen der umherwandernden Toten, von dem er in den letzten Monaten so viel gelesen hatte.
    Viktor vernahm Schritte hinter sich. Susanna trat an seine Seite und winkte Tassilo zu, der aus dem Kutschenfenster blickte. Als der alte Schwarzhagen sie sah, strahlte er und hob die Hand zu einem stürmischen Gruß; dann rollte das Gefährt davon.
    Viktor wandte sich zu seiner Verlobten. Sie hatte ihn zum Gestüt begleitet, weil sie seine Leidenschaft für Pferde teilte. Eine ihrer wenigen Gemeinsamkeiten.
    Er und Susanna lebten unter einem Dach, aber die Schlafgemächer sollten natürlich bis zur Hochzeit getrennt bleiben. Er empfand für sie kaum mehr als eine gewisse freundliche Sympathie und war die Vernunftehe mit ihr dem Vater zuliebe eingegangen. Die Familie Harbhorst besaß Ansehen und gute Handelsverbindungen nach Italien, wo sich neue Märkte auftaten. Susanna hatte sich zwar sofort in ihn verliebt, aber trotzdem war ihre Verlobung nichts anderes als das Ergebnis von Arrangement und Abkommen zwischen den Eltern.
    Seine Zukünftige hatte von Anfang an gewusst, was sie erwartete: im besten Fall Freundschaft, gelegentliche körperliche Zweisamkeit, um einen Nachfolger zu zeugen und die Familie fortzuführen – doch niemals die Erwiderung ihrer tiefen Liebe. Viktor bedauerte und bewunderte sie gleichermaßen. Aus beiden Gründen wollte er ihr eigentlich keinen Kummer bereiten. Aber es ging nicht anders.
    »Ich darf gehen.«
    »Nein«, sagte Susanna und erschrak. Sie strich über seine Brust. »Ins Türkengebiet.« Sie schauderte.
    Viktor schloss sie pflichtbewusst in die Arme und stellte sich statt ihrer Elvira vor. Er streichelte ihren Rücken. »Es wird nicht lange dauern, und ich bin wieder zurück.« Susanna würde natürlich hören, dass es ein falsches Versprechen war. Er schaute ihr in die traurigen grünen Augen. »Und ich habe noch eine Neuigkeit für Sie: Ich schenke Ihnen das Gestüt.«
    »Was?«
    »Unter der Bedingung, dass Sie es nicht an Bernhard oder meinen Vater weiterreichen. Schwören Sie es, Susanna?«
    Sie nickte sofort. »Niemand anderes soll es bekommen.«
    »Ich danke Ihnen, liebe Verlobte.« Er küsste sie flüchtig auf die Wange. »Dann kann ich beruhigt zu den Türkenmenschen fahren.« Er hinkte zurück ins Kaminzimmer.
    »Viktor?«, rief sie, und er wandte sich auf der Schwelle zu ihr um. Sie stand an der Treppe nach oben, die Linke aufs Geländer gelegt. »Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie benötigen … aber kehren Sie gesund zu mir zurück.« Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. »Elvira war mir eine gute Freundin. Ich vermisse sie auch.« Rasch verschwand Susanna nach oben.
    »Nicht so sehr wie ich«, sagte er leise. Er ging weiter, ins Kaminzimmer, warf einen langen Blick aus dem Fenster und orientierte sich nach Osten. Muselmannland! Er atmete tief ein und aus. Das Vorhaben kam seinem Abenteuersinn entgegen. Ohne sein steifes

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