Kinder des Judas
ihm, weil sie ihn und sein Erscheinungsbild nicht einzuordnen vermochten: kein Medicus, kein Offizier.
Mit neuen Eindrücken und endlich wieder in seinem Hoffen auf Vampire bestärkt, kehrte er ins Haus des Popen zurück, wo er, in Ermangelung eines Übersetzers, mit fliegenden Händen gestikulierte, um nach einer Liste der Toten der letzten Wochen zu verlangen.
Ignaz lächelte ihn freundlich an – und antwortete ihm, zu Viktors großer Überraschung, in gut verständlichem Deutsch.
»Ich habe zu Ihnen mehr Vertrauen als zu dem fetten Arzt«, gestand er. »Soll er doch denken, was er möchte.« Er legte ihm die Liste hin und sah Viktor in die Augen. »Es
sind
Vampire, Herr von Schwarzhagen! Und ich weiß, wie es begann.« Er setzte sich ihm gegenüber: Viktor fiel ein strenger Geruch nach Gewürzen auf, der von dem Popen ausging. »Vor ungefähr einem halben Jahr ist Arnod Paole von einem Heuwagen gestürzt und hat sich den Hals gebrochen. Zu Lebzeiten hat er immer wieder erzählt, wie er von einem Vampir geplagt worden ist. Daher hat er von der Erde des Vampirgrabs gegessen und sich mit dessen Blut eingeschmiert, um von der Plage befreit zu werden. Aber es hat nichts gebracht.«
Viktor schluckte. »Dann hat es mit ihm angefangen?«
Ignaz bekreuzigte sich: Er legte Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammen und streckte sie aus, Ringfinger und kleiner Finger berühren die Handfläche, dann vollführte er eine Bewegung von der Stirn zur Brust, schließlich zur rechten und linken Schulter. »Gott stehe uns bei: ja. Etwa dreißig Tage nach seinem Tod haben sich einige Leute beklagt, dass sie von ihmgeplagt würden, und bald darauf hat er sie auch wirklich umgebracht. Das waren die ersten vier.«
»Und Sie haben nichts dagegen unternehmen können?«
»Wir haben Paole ausgegraben und gesehen, dass er ganz vollkommen und unverwest war. Das frische Blut seiner Opfer lief ihm zu Augen, Nase, Mund und Ohren heraus.« Der Pope bekreuzigte sich erneut. »Sie hätten sehen sollen, wie das Hemd, das Übertuch und der Sarg in Blut geschwommen sind! Die alten Nägel an Fingern und Zehen waren samt der Haut abgefallen, und darunter hatten sich neue gebildet. Wie bei einer Schlange.«
Viktor hatte sein Büchlein gezückt, Tintenfass und Kiel ausgepackt und notierte mit, was der Geistliche ihm berichtete. Er glaubte den Worten.
»Wir haben ihm einen Pflock durchs Herz geschlagen, wobei er einen wohlvernehmlichen Schrei von sich gegeben hat, und danach haben wir ihn verbrannt und alles, was von ihm übrig war, zurück ins Grab geworfen.«
Viktor kratzte sich mit der Feder am stoppligen Kinn. »Heißt es nicht, dass die Opfer eines Vampirs auch zu einem solchen werden?«
»Wir haben die vier Toten ebenso behandelt.« Ignaz nickte. »Doch damit endete es nicht.« Er flüsterte. »Paole hatte auch das Vieh angegriffen und ihm das Blut ausgesaugt. Weil nun die Leute das Fleisch von diesem Vieh gegessen hatten, wurden auch sie nach dem Tod zu Vampiren, und das Leid begann erneut. Deswegen haben wir um Hilfe gebeten.«
Viktor erschauderte immer wieder beim Schreiben, dann sah er auf die Liste der Toten. »In drei Monaten sind siebzehn junge und alte Personen gestorben?«, vergewisserte er sich.
»Ja. Worunter einige ohne vorherige Krankheit in zwei oder längstens drei Tagen gestorben sind«, bestätigte Ignaz bleich. »Bei Gott, ich beschwöre Sie: Sie
müssen
uns glauben und helfen! Wir werden der Vampire nicht mehr Herr!«
Als die Tür aufgestoßen wurde und gegen die Wand krachte, schraken beide Männer zusammen.
Glaser betrat zusammen mit den Offizieren die Stube, warf seinen Mantel ab und verbreitete auf der Stelle den stechenden Geruch von Schweiß im Raum. Er nahm seine Flasche hervor und gönnte sich einen langen Zug. »Essen«, befahl er mürrisch und sackte schwer auf den Stuhl. Die Soldaten machten es sich auf der Eckbank bequem.
Viktor bemerkte eine Veränderung im Gesicht des Medicus. »Und? Was haben Ihre Untersuchungen ergeben?« Er wunderte sich selbst, dass er so bang klang. Je nachdem, was der Medicus nun antworten würde, wäre der Bericht des Popen nichts weiter als eine Geschichte, geboren aus Unwissenheit und Aberglaube. Oder aber …
»Nichts.«
»Was meinen Sie mit nichts?« Viktors Anspannung wuchs um ein Vielfaches.
Ignaz machte ein wissendes Gesicht und murmelte etwas Unverständliches.
»Was versteht Er nicht an dem Wort
nichts
?«, schnauzte Glaser. »Keinerlei Anzeichen für eine ansteckende
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