Kinder des Judas
Liebe?« Marek stand neben ihr und behielt die Umgebung im Auge. Von den Menschen wagte sich nach Einbruch der Dunkelheit keiner mehr ins Freie, wenn man vom Popen einmal absah, aber es gab immer noch die Upire.
Scylla hörte in der harmlosen Frage die Eifersucht aufglühen. Er war noch immer wie besessen von der Idee, sie zu seiner Geliebten zu machen, und auch wenn sie so taten, als hätte es das Gespräch damals in der Mühle niemals gegeben, und sie sich vor den anderen Baronen als Freunde gaben, mied sie ihn nach Möglichkeit. Er wiederum klammerte sich an die Hoffnung, dass sie ihn eines Tages doch erhören würde, und kehrte immer wieder in ihre Ländereien zurück, auch wenn sie es ihm bei vielerlei Gelegenheit untersagt hatte.
»Den Medicus und seinen Begleiter«, antwortete sie unverfänglich.
Marek warf ebenfalls einen kurzen Blick hinein und zog sich gleich wieder zurück. »Der Deutsche trägt einen französischen Offiziersmantel. Mehr als ungewöhnlich, würde ich sagen.« Er sog die eisige Luft ein, und in dem Geräusch lag spürbarer Argwohn.
Scylla lächelte. »Ja, in der Tat. Ich schätze, er ist ebenso aufständisch wie ich.« Sie beobachtete, wie Viktor der Stock aus der Hand rollte und er die Augen öffnete.
Ihre Blicke trafen sich – und verschmolzen für mehrere Lidschläge miteinander. Scylla atmete die Luft ein, die durch den Spalt aus der Hütte nach draußen drang und ihr seinen Geruch zutrug. Er roch sauber, ungewöhnlich sauber für einen Menschen.
»Scylla, er sieht dich!«, hörte sie Mareks vorwurfsvolle Stimme.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis es ihr gelang, sich von seinem Anblick loszureißen und in die Dunkelheit zu tauchen. »Ich weiß«, seufzte sie und ging an der Hütte entlang. Sie sah den Popen aus einem der Häuser kommen, den Eingang mit Weihwasser besprengen und sich der nächsten Behausung zuwenden. »Schau sie dir an. Wie einfach wäre es gewesen, ihnen zu helfen.«
»Das können wir immer noch.« Marek schloss sich ihr unaufgefordert an, als sie ihren Weg durch Medvegia fortsetzten. »Bringen wir die Upire um und freuen uns darauf, dass der fette Glaser nichts weiter als Leichname in den Gräbern entdeckt. Damit wäre es ausgestanden.« Er streckte die Hand nach ihr aus.
Scylla wich ihm aus und tat dabei so, als sei sie gestrauchelt. Es war ein fadenscheiniges Manöver, und er wusste es zu deuten: Er hatte sie nicht anzufassen. »Wir schaffen es nicht, das Dutzend Upire in einer Nacht zu fangen, mit Pflöcken zu durchbohren und zu köpfen, ganz zu schweigen vom Verbrennen. Wenn die Dörfler jetzt nachts Schatten auf dem Friedhof sehen und wir unter den Augen des Medicus schaufeln, wird man ihrem Lamentieren Glauben schenken.« Sie blieb an einer Hausecke stehen und zog den Mantel enger um den schlanken Leib. »Warten wir ab, was ihre Untersuchung bringt.«
»Das ist keine gute Entscheidung.« Mareks Blick wanderte über die erleuchteten Fenster in den Gebäuden. »Und wenn wir alle umbringen und das Dorf mitsamt dem Friedhof niederbrennen? Damit wäre das Problem auf einen Schlag gelöst. Solche Tragödien geschehen immer wieder.«
»Danach senden sie die nächste Kommission, welche die Upire
und
den Brand untersuchen soll«, schmetterte sie seinen Vorschlag ab, auch wenn sie insgeheim zugeben musste, dass es keine schlechte Idee war. Sie fühlte sich ebenso hilflos wie er. »Wenn du schon nicht von meiner Seite weichen kannst, dannkomm und hilf mir. Achten wir wenigstens darauf, dass die Upire sich an keinem vergreifen, solange die Kommission anwesend ist. Einen besseren Beweis gäbe es nicht.«
»Ich finde es grotesk, dass ein Aeternus wie ich jetzt schon über die Sterblichen wachen muss.« Marek warf einen Blick auf Scylla, auf deren Gesicht nun eine Mischung aus Anspannung, Jagdfieber und etwas anderem lag, das ihn seltsamerweise an Zufriedenheit erinnerte. »Bereitet dir das hier Vergnügen?«
»Ja«, flüsterte sie, eine Hand legte sich an den Griff ihres Dolches. Seit Lydia ihr von den Intrigen berichtet hatte, die man in der Cognatio hinter ihrem Rücken gegen sie spann, fühlte sie sich in der Nähe von Menschen wohler, ja lebendiger als im Kreis der Ewiglebenden, und aus dieser Haltung machte sie inzwischen keinen Hehl mehr.
»Du hast die letzte Cognatio versäumt. Man bat mich, dich darauf anzusprechen«, sagte Marek. »Es ist eigentlich deine Pflicht …«
»Als du mir sagtest, dass Vater in der Mühle Geheimnisse aufbewahrte, da
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