Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kinder des Judas

Titel: Kinder des Judas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz , Markus Heitz
Vom Netzwerk:
Libor sputete sich mit seinen Verrichtungen. Dann befahl er Viktor, sich auf den Schlitten zu setzen, damit es schneller ging.
    Sie holten auch noch den Sarg des Mädchens ab, und weil ansonsten kein Platz mehr war, musste sich Viktor obenauf setzen. Dort thronte er und schrieb, während die Zingaros ihn und ihre Fracht zurück zum Lager zogen.
     
    Sosehr sie die Pferde auch antrieben, die Sonne versank zu schnell. Dann blieb der vorderste Wagen stecken, und es gab keine Möglichkeit, ihn zu überholen. Viktor war beinahe bereit anzunehmen, das Böse hätte sich gegen sie verschworen. Oder war es der Fluch der feindlichen Zingaro-Sippe?
    Sie erreichten den Ort mit einem für Viktor weiteren unaussprechlichen Namen, der sie um Hilfe gebeten hatte, erst in der Dunkelheit. Den Sarg mit der Kinderleiche führten sie immer noch mit sich und zogen ihn am letzten Gefährt hinter sich her; es war keine Zeit geblieben, ihn an einer Kreuzung zu verscharren.
    Die Bewohner standen mit Fackeln bewaffnet auf der schmalen Straße und riefen den Zingaros schon von weitem etwas zu.
    »Sie sagen, dass wir uns beeilen sollen«, übersetzte Libor und beorderte vier Männer zu sich auf den Schlitten. »Wir werden vorfahren, die Frauen kommen nach. Ich will den Vampir erwischen.«
    Sie brausten auf die Menschenansammlung zu, und zwei Dörfler sprangen zu ihnen auf den Schlitten. Ihren Anweisungen folgend, ging es zum Friedhof, der am Rand eines Nadelwaldes lag und dadurch noch düsterer wirkte. In den vorderen Reihen standen eine Vielzahl von abgestorbenen Laubbäumen, die durch ihre kahlen, abgebrochenen Äste zwischen den Fichten wie Fremdkörper wirkten. Viktor versuchte, seine Eindrücke mit knappen Worten festzuhalten und eine Skizze von dem schaurigen Ort anzufertigen. Für ihn sah es aus, als würden sich die faulenden Bäume wie Untote aus dem Schutz des dunklen Waldes schieben. Kein Ort, der Ruhe und Frieden verströmte.
    »Sie haben einen fressenden Vampir, Niemez«, erklärte ihm Libor und sah beunruhigt aus. »Diese Ungeheuer sind nicht eben alltäglich und gefährlicher als die Blutsauger.« Er hielt das Gefährt an und sprang vom Bock, noch ehe die Pferde richtig zum Stehen gekommen waren; die Zingaros taten es ihm nach, jeder nahm sich einen großen schweren Sack, und dann eilten sie auf den Friedhof.
    »Warte!«, rief Viktor, verstaute seine Schreibsachen und rutschte unbeholfen herab.
    »Keine Zeit, Niemez. Beeilen Sie sich lieber«, rief Libor über die Schulter zurück.
    Keuchend humpelte er ihnen hinterher und sah, dass sie auf ein Zeichen des Dörflers hin ein Grab von der Erde befreiten. Sie schaufelten mit ungewohnter Schnelligkeit, und Viktor schob es auf die bereits hereingebrochene Nacht. Mit etwas Pech hatte der Vampir seine Ruhestätte bereits verlassen.
    Viktor erreichte das Grab in dem Augenblick, als Libor etwas sagte und sie die Arbeiten einstellten. »Was ist …«
    »Seien Sie still und sperren Sie die Ohren auf«, flüsterte Libor, der seinen Säbel schon gezogen hatte.
    Viktors Nackenhaare richteten sich auf: Er hörte ein leises Schmatzen und Kauen aus dem freigelegten Sarg, das von Stöhnen und Ächzen begleitet wurde, gleich danach erklang ein gieriges Schlürfen und ein reißendes Geräusch, als würde Fleisch mit bloßer Hand vom Knochen geschält werden. Übelkeit stieg in ihm auf. »Er hat sein Opfer ins Grab gezerrt und frisst es auf!«, wisperte er.
    »Nein. Schlimmer.« Libor rief etwas, und die Männer zertrümmerten die intakten Schlösser, mit denen der Vampir gefangen gehalten worden war. Nicht weniger als fünf Eisenbänder wurden entfernt, dann hob einer von ihnen den Deckel an.
    »Beim Allmächtigen!« Viktor würgte, und seine Knie gaben nach, er sank in den Dreck, ohne die Augen von dem Anblick wenden zu können; das Grauen belegte ihn mit einer Starre.
    Im Grab richtete sich der unbekleidete Oberkörper einer Frau auf. Aus dem Gesicht und überall aus dem Leib waren von scharfen Fingernägeln Fleischstücke herausgerissen worden. Das Fleisch an den Fingern, Händen und Unterarmen der Vampirin fehlte gänzlich; im Licht der Lampen schimmerten blutige, aber auch sauber abgeleckte Knochen. Obwohl Muskeln und Sehnen fehlten, bewegten sich die Gliedmaßen!
    Die Vampirin sah zu den Männern auf, kreischte und sprang auf.
    Libor knallte den Deckel kurzerhand zu und klemmte den Oberkörper der Vampirin ein. Sie schrie und schlug um sich, die Knochenfinger krallten sich in die Erde und

Weitere Kostenlose Bücher