Kinder des Judas
denen einfache und zumeist arme Menschen wohnten, die sich mit Schweinezucht und Landwirtschaft beschäftigten.
»Warum enthaupten und verbrennen wir sie nicht einfach, sobald wir aus dem Dorf hinaus sind?«
Libor sah ihn streng an. »Das ist nicht, wofür wir unser Geld bekommen. Ein Zingaro steht zu seinem Wort. Und davon abgesehen«, er strich sich grinsend über seine Narbe, »wird es auch in hundert Jahren noch genug Männer meines Volkes geben, die sich gegen Bezahlung um das Mädchen kümmern können, wenn es seinem Sarg entkommt. Und nun kommen Sie, Niemez.«
Als sie den Friedhof erreicht hatten, wandte sich Libor wieder an Viktor. »Das Grab ist da drüben, hat der Heyduck gesagt. Der Vampir muss ein echter Wüterich sein. Er hat die Dächer von drei Häusern beschädigt und drei Männer derart verdroschen, dass sie Knochenbrüche davontrugen. Sein erstes Blutopfer ist seine eigene Tochter gewesen.«
Sie standen jetzt um die Ruhestätte herum, und auf Viktor machte es den Eindruck, als stünde das Kreuz am Kopfende leicht nach vorne geneigt.
Libor sah seine Blicke. »Gut aufgepasst, Niemez. Schiefe Grabsteine und eingefallene Erde ist ein Zeichen, dass der Sarg darunter zerschlagen ist und der Vampir nachts nach oben steigt.« Er ging in die Hocke und wischte im Schnee herum.
»Die Erde müsste doch aufgewühlt sein.« Sosehr Viktor über den Friedhof schaute, nirgends sah er einen passenden Hügel, wie ihn ein Mensch verursachen würde, wenn er sich aus der Tiefe grub.
»Manche graben, andere wechseln ihre Gestalt.« Libor winkte ihn zu sich und deutete auf ein fingergroßes Loch am Grab. »Sehen Sie das? Wir nennen das einen Kamin. Durch ihn entweichen die Vampire mal als Maus, als Ratte oder als Spinne und nehmen erst im Freien ihre Menschengestalt an.« Er rief seine Begleiter zu sich, die Männer griffen zu den Schaufeln und machten sich an die Arbeit. »Wir könnten durch diesen Kamin heißen Wein schütten und den Vampir damit garen, aber so viel Wein werden die Dörfler nicht haben. Also bleibt uns nur die herkömmliche Art und Weise.«
»Ausgraben und verbrennen.« Viktor schrieb fleißig. Die Geräusche, welche die Schaufelblätter beim Graben verursachten, gaben ihm ein mulmiges Gefühl. An den Anblick der Toten hatte er sich gewöhnt, aber er würde in den kommenden Tagen mehr von ihnen zu Gesicht bekommen als andere Menschen ihr ganzes Leben lang.
»Nein, Niemez. Wir belassen es bei Pflock und Enthaupten. Das Verbrennen dauert zu lange, und die Menschen wollen das viele Holz dafür nicht opfern. Der Winter wird lange dauern.« Libor ging zum Schlitten und nahm ein Werkzeug hervor, das Viktor an einen Spaten erinnerte, nur dass die Vorderseite und die Ränder geschliffen waren; auf der rechten Seite war im oberen Teil ein fingerdicker Haken angesetzt worden.
»Das ist mein Köpfer.« Libor grinste und drehte das Werkzeug. »Ein Schmied hat ihn mir angefertigt. Das Blatt ist sehr schwer, man benötigt also nur einen einzigen Hieb, und der Vampir verliert seinen Schädel.« Er tippte auf den Haken. »Sollte er aufspringen und flüchten wollen, was immer mal wieder vorkommt, kann ich ihn damit packen. Am besten hacke ich ihm damit in die Schulter, damit sich der Haken ins Schlüsselbein bohrt und er ihn sich nicht so ohne weiteres aus dem Fleisch herausreißen kann.«
Dumpfes Bersten erklang, die Helfer waren auf den Sarg gestoßen.
»Sie haben es dem Vampir auch noch einfach gemacht«, meinte Libor vorwurfsvoll. »Leichen sollte man immer tiefer als zwei Schritte vergraben, sonst gehen die Hunde und Füchse dran. Wie bei der Kleinen in Medvegia.« Er gesellte sich zu seinen Leuten.
Sie entfernten den Deckel, und Viktor wurde herbeigerufen, um sich den Vampir anzusehen.
Wie auch in Medvegia zeigte der Leichnam kein Anzeichen von Verwesung. Blut rann aus dem offenen Mund, und auch die Brust war voller vertrocknetem Blut, das von einem der Tiere stammen musste, das er gerissen hatte.
»Da!« Viktor schluckte. Die Augen waren weit geöffnet und bewegten sich in den Höhlen hin und her. »Er schaut uns an!«
Libor lachte und strich über seinen ikonenbewehrten Schutzpanzer. »Das tun einige von denen. Aber rühren können sie sichnicht, solange es Tag ist. Die Macht der Sonne verhindert es.« Er sprang in die Grube und stemmte die Stiefel rechts und links auf die Sargkante.
Die Helfer warfen ihm ein tischdeckengroßes gewachstes Segeltuch zu, das einen Schlitz aufwies. Sorgsam breitete
Weitere Kostenlose Bücher