Kinder des Judas
zu einer Königin gemacht worden.
»Ich kann nicht. Mein Knie ist kaputt.« Er sah ihr in die Augen und erkannte ein tiefes, geheimnisvolles Grau. Die restlichen Züge hatten eine gewisse Ähnlichkeit mit –
– der toten Elvira! »Wie ist dein Name?«
»Irina.« Sie lächelte und nahm ihn bei den Händen. »Kommen, Niemez. Kommen und tanzen mit Irina.« Mit sanftem Zwang zog sie ihn hoch, legte seine Hände auf ihre Hüften und ihre Arme auf seine Schultern. »Ich zeige.« Sie wiegte sich vorsichtig im Takt der Musik und begann mit langsamen Drehungen, denen Viktor trotz seines Knies folgen konnte. »Sehen? Gehen gut!«
»Ja, das tut es«, sagte er lachend und sah in ihr Gesicht, dessen Züge verschwammen, was er auf die Wirkung des Alkohols schob. Mehr und mehr wurde das Gesicht der Baronin daraus, und sein Herz schlug schneller. Er sehnte sich so sehr nach ihr, dass er nicht nur nachts von ihr träumte, sondern sie bereits im Antlitz einer Wildfremden erkannte; die Wirkung des Alkohols brachte die Wahrheit hervor. Er schaute Irina an und löste den Blick nicht mehr von ihr, weil er fürchtete, dass damit auch die Baronin verschwand.
Viktor versank in den grauen Augen, die Umgebung wurde zu einem Durcheinander von verwirbelnden Farben, und die Musik nahm er als ein angenehmes Hintergrundgeräusch wahr. Seine Sinne konzentrierten sich nur auf die Züge seiner Tanzpartnerin, die ihn schweigend anstrahlte und gelegentlich übermütig auflachte.
Sie drehten und drehten sich, bis es um sie herum dunkler wurde. Irina hatte sie geschickt in den hinteren Teil der Scheune gelenkt, wo sie hinter einem hochkant aufgestellten Lastenschlitten Schutz vor neugierigen Blicken fanden.
Irina beugte sich vor und nahm Viktors Gesicht behutsam zwischen ihre Hände, die warm und weich waren. Er glaubte so fest daran, die Baronin vor sich zu haben, dass er sogar ihr Parfüm roch.
Er kam ihr entgegen und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund, dann wanderten seine Lippen an ihrem duftenden Hals entlang. Er zog ihr Kleid etwas zur Seite und bedeckte das Schlüsselbein mit Liebkosungen, Irina stöhnte leise auf und zog seinen Unterleib gegen ihren. Sie wollte ihn spüren und griff fordernd in seine Haare.
Viktor dachte nichts mehr, die Gier übermannte ihn. Die junge Frau ermunterte ihn mit leisem, lustvollem Keuchen und küsste ihn immer wieder; sie war nicht weniger berauscht vom Verlangen. Sie streifte das Kleid herab …
»Niemez?«
Viktor hörte durch die Musik Libors alarmierte Stimme, die sich dem Versteck näherte. Wie oft der Dhampir nach ihm gerufen hatte, wusste er nicht, aber sicherlich mehr als einmal.
»Warte«, flüsterte er Irina zu. Schlagartig wurde ihm bewusst, was er und sie gerade trieben. Das Kleid war bereits zur Hälfte vom Oberkörper gestreift, und ihre rechte Brust lag entblößt vor ihm. Wenn ihn die Dorfbewohner mit ihr zusammen entdeckten, würde das Fest ein übles Ende nehmen, vermutete Viktor.
Er zerrte den Stoff nach oben und knöpfte sein Hemd, an dem sie sich zu schaffen gemacht hatte, wieder zu. Sein Blick fiel dabei auf den Boden der Scheune, wo das Armbändchen lag, das ihm der Zingaro gegeben hatte. Es musste sich beim Liebesspiel gelöst haben.
Der Lastschlitten wurde ruckartig zur Seite geschoben, und Libor stand mit gezogenem Säbel vor ihnen, in der Linken hielt er ein Kreuz. Unverständliche Worte ausstoßend, hob er den Arm und reckte es ihm entgegen.
Viktor schaute verwundert. »Ich verstehe nicht …«
Hinter ihm erklang ein lautes Fauchen, und als er sich umdrehte, hatte Irina den Mund drohend wie ein Raubtier geöffnetund zeigte lange Reißzähne. Das Kleid war wieder verrutscht, mit freiem Oberkörper stand sie vor ihm und schien ihn anspringen zu wollen, doch Libor hob den Säbel und das Kreuz. Knurrend machte sie zwei Schritte nach hinten und stieß sich mit einem gewaltigen Sprung vom Boden ab.
Im Flug ging eine merkwürdige Verwandlung vor sich. Der Körper verlor seine Form und löste sich in trübe, schwarze Gespinste auf, die umeinanderwirbelten und sich zu einem Falter zusammenfügten. Das Insekt nahm eine weiße Farbe an und flatterte mit schnellen Flügelschlägen hinauf zum Scheunendach, wo es verschwand.
Libor fluchte etwas und verstaute den Säbel. »Eine Aufhockerin, Niemez. Die Menschen nennen sie auch Tenjac.« Rasch schaute er sich um, ob das Geschehen zu viel Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, doch nur ein paar Dörfler sahen in ihre Richtung, die
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