Kinder des Judas
und schluckte schwer. »Denn wir haben nur noch uns beide, Tochter.«
Jitka schniefte. Weil sie nicht sprechen konnte, nickte sie und schlang ihre Arme um seinen Nacken. Das Mädchen barg sein Gesicht an Karols Hals; heiß regneten salzige Tropfen auf seine Haut.
Karol wiegte sie sanft in seinem Arm, streichelte das schwarze Haar, die zarten Wangen und verspürte tiefes Mitleid mit seiner Tochter.
Es dauerte lange, bis die Tränen versiegten, doch nach und nach wurden Jitkas Atemzüge gleichmäßiger. Aber auch im Schlaf klammerte sie sich an den einzigen Verwandten, den sie noch besaß.
Sie wird nie mehr daran zweifeln, dass ich ihr Vater bin
, dachte Karol.
Aber, bei Gott, der Preis dafür ist zu hoch
.
Vorsichtig stand er auf und achtete darauf, dass er sie nicht durch eine zu schnelle Bewegung weckte. Mit einer Hand hielt er sie an seine Brust gedrückt, mit der anderen beglich er die Rechnung. Da er, wie fast immer, mit einer Silbermünze bezahlte, konnte sich der Orientale über einen außergewöhnlichen Gewinn freuen. Als er sich überschwenglich bedanken wollte, vollführte Karol eine knappe Handbewegung, und der Mann verstummte augenblicklich.
Karol kehrte mit dem Mädchen auf dem Arm zur Kutschezurück, stieg auf den Bock und legte sie neben sich, den Kopf auf seinen Oberschenkel gebettet. Er betrachtete das schlafende Antlitz. Sie glich ihrer Mutter sehr und würde, wenn sie erwachsen war, sicher wie ihr Ebenbild erscheinen. Karol seufzte.
Radomir
. Karol spuckte aus. Er hatte nie vergessen, dass dieser simple Mann Janja zu seiner Frau gemacht hatte, eine Ehre, die ihm ganz sicher nicht zustand. Dass er von den einfachen Menschen als Jitkas leiblicher Vater angesehen wurde, empfand Karol als Beleidigung. Es hatte ihn zutiefst befriedigt, dass dieser Martin endlich die Wahrheit ausgesprochen hatte, auch wenn es nicht ganz freiwillig geschehen war. Und Radomir hatte bereits vor langer Zeit für seine Anmaßung bezahlt.
Janjas Gemahl war tot, gerichtet, auch wenn Karol es wie einen Unfall hatte aussehen lassen. Es war die Strafe für die Art, wie er mit dieser wunderbaren Frau umgesprungen war, weil sie ihm nach Jitka keine weiteren Kinder mehr gebären konnte. Die Schläge, die Beschimpfungen und Demütigungen hatten Karol rasend werden lassen, und entgegen allen Vorsätzen mischte er sich ein weiteres Mal in Janjas Leben ein, bevor er sich zurückgezogen hatte. Viel zu lange, wie er heute voller Reue zugeben musste. Erst hatte er der Frau einen Blick ins Licht ermöglicht und sie danach in der Dunkelheit zurückgelassen.
Dabei lag die Schuld für ihre Kinderlosigkeit bei Karol. Seine Nacht mit ihr hatte sie auf immer und ewig unfruchtbar für alle Männer der Welt werden lassen.
Karol berührte das halbe Amulett. »Ich schwöre beim Allmächtigen, dass es unserer Tochter besser ergehen wird als dir.« Er küsste es, dann streichelte er die Stirn des Mädchens. »Es wird Zeit, dass ich mich um sie kümmere, wie es einer Tochter aus unserem Geschlecht gebührt.«
Dieses Mal verzichtete Karol auf den Knall mit der Peitsche, sondern trieb die Schimmel mit einem Ruck der Zügel an. Die Kutsche rollte los, durch das nächtliche Belgrad, an der Moschee vorbei zum Tor hinaus auf die Landstraße.
Karol sorgte sich wegen des Auftauchens des
Upirs
, wie ihn Jitka genannt hatte. Dass der Eleve sich ausgerechnet jetzt für das Mädchen interessierte, alarmierte ihn. Und offensichtlich hatte er es darauf angelegt, entdeckt zu werden. Warum? Karol würde ihn nicht zur Rede stellen, er bekäme sowieso keine Antworten. Aber er würde es nicht vergessen und aufmerksamer sein als bisher.
Es ging nach Osten, die im Mondlicht glitzernde Donau entang. Die Pferde trabten auf einen der Flüsse zu, die in den mächtigen Strom mündeten, die Morava.
Es gab eine enge Stelle stromaufwärts, wo der Fluss um diese Jahreszeit so gut wie ausgetrocknet war. Dorthin wollte er vor Sonnenaufgang gelangen, damit er anschließend eine Rast einlegen konnte. Ein trockenes, schmales Stückchen Flussbett war ihm lieber als die beste Brücke.
Er hatte Jitka glauben lassen, dass er wegen ihrer Mutter in Belgrad gewesen war, doch in Wahrheit hatten ihn andere wichtige Geschäfte in die Stadt geführt. Aber in einem Punkt hatte er nicht gelogen: Janja war tot.
Karol sah nach Jitka, die sich nicht rührte. Die Trauer hatte ihr einen tiefen, schweren Schlaf beschert, in dem der Schmerz über den Verlust seine Schärfe verlor.
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