Kinder des Judas
ein weißes Kopftuch, auf das sie einen Hut gesetzt hatte.
Es war gut gewesen, die Suche nach ihm mit der Kutsche fortzusetzen. In Tiergestalt oder nackt und lediglich mit ihrem Dolch ausgestattet hätte sie ihm nicht helfen können.
Sie sah auf den Chronographen an der Wand. »Wach auf, mein Schöner«, sagte sie und flößte ihm dabei eine weitere Arznei ein, die half, seine Lebensgeister zu wecken. »Erhebe dich.«
Viktor schluckte gehorsam, und nicht lange danach öffnete er mit einem tiefen Ausatmen die Lider. Er sah Scylla an und lächelte, bemerkte seine Hand in der ihren und drückte sie behutsam.
Er musste nicht aussprechen, was er für sie empfand, sie erkannte es an der Geste und an seinen Augen. Daher wagte Scylla es, sich langsam vorzubeugen und ihm einen Kuss anzubieten.
Viktor nahm die Zärtlichkeit an, ihre Lippen trafen sich und blieben lange aufeinander.
Sie hatte es beinahe nicht mehr gewagt, an Liebe zu glauben, doch das Gefühl, das sie in sich spürte, das Kribbeln und die Wärme in ihrem Bauch, sagten ihr, dass der junge Deutsche der Richtige für sie war. Scylla richtete sich auf. »Guten Morgen, Liebster«, begrüßte sie ihn leise und berührte seine Wange. »Du hast lange geschlafen.«
Viktor schloss die Augen. »Ich habe von dir geträumt.«
»Hast du mir im Traum einen Namen gegeben?«
Er überlegte. »Ich nannte dich
Liebste
. Mir schien es keinen passenderen zu geben.« Viktor sah sie wieder an. »Du hast mich vor dem Vampir gerettet – oder habe ich mir das eingebildet?« Er schlug die Decke zurück und sah, dass er nackt im Bett lag. Um seinen Unterschenkel trug er einen Verband, und das linke Knie war bandagiert. Gelbe und blaue Blutergüsse erinnerten an die Auseinandersetzung mit dem Judassohn. »Hast du …?«
»Dich ausgezogen und versorgt? Ja.« Sie lachte. »Die Fäden habe ich dir heute Morgen gezogen, die Wunden sind gut verheilt.« Sie deckte ihn wieder zu.
Viktor sah sich in dem Raum um, der keinerlei Fenster besaß. Die Einrichtung wirkte auf ihn zweifellos elegant, aber nicht sonderlich kostspielig, wie er es von einer Baronin vielleicht erwartet hatte. »Sind wir in deinem Schloss?«
»Ja.« Sie nickte. Er musste noch nicht wissen, dass das »Schloss« in Wirklichkeit das erste Geschoss ihrer Unterkunft im Hügel unter der Windmühle war. »Wir befinden uns im Keller, hier ist die Luft besser für dich und fördert die Heilung deiner Wunden.« Sie erhob sich und küsste seine Hand. »Zieh dich an und folge mir. Wir sollten frühstücken.«
Viktor stand auf, während sie ihm die Sachen brachte und sich anschließend abwandte und ihn seine Blöße bedecken ließ.
An den Geräuschen vernahm sie, welches Kleidungsstück er gerade überstreifte, und bevor er aufstehen wollte, drehte sie sich rasch um, damit sie sein Gesicht sehen konnte, wenn die Füße den Boden berührten.
Viktor saß auf der Bettkante und betrachtete nachdenklich sein linkes Bein. »Etwas ist anders als sonst«, meinte er und massierte das Knie. »Es tut nicht mehr weh und fühlt sich … freier an.«
Sie streckte ihm die Arme entgegen. »Komm, Liebster. Komm zu mir.«
Behutsam erhob er sich und machte zwei Schritte, dann hellte sich sein Gesicht auf. »Das kann nicht wahr sein!«, jubelte er und schaute glücklich zu Scylla. »Was ist mit dem Knie geschehen?« Er lief vor und zurück, belastete es. »Es tut nicht mehr weh, ich kann …« Viktor sah sie an und schluckte. »Du hast mein Knie
geheilt?«
Scylla freute sich unendlich über die Überraschung im Gesicht des jungen Mannes. »Es waren nichts weiter als kleine Splitter«, antwortete sie. »Sie blockierten dein Gelenk, scheuerten und rieben. Ich habe sie mit einem kleinen Eingriff entfernt, mehr war es nicht. Damit sind die Entzündungen verschwunden, und du kannst es beinahe ebenso gebrauchen wie dein anderes Knie.«
Viktor stürmte auf sie zu und riss sie an sich, hob sie hoch und drehte sich mit ihr mehrmals lachend im Kreis.
»Vorsicht!«, warnte sie ihn, ebenfalls lachend, und hielt sich fest. »Du bist noch nicht ganz gesund.«
Er sah ihr tief in die Augen, als suche er etwas darin. »Du bist eine von ihnen«, sagte er ohne Furcht und Vorwurf in der Stimme. »Habe ich recht?«
Die Freude erstarb augenblicklich. »Was meinst du damit?«
Er ließ sie auf den Boden zurück, dabei betrachtete er sie. »Deine roten Haare, deine Perücke, deine merkwürdigen Kräfte, mit denen du mich in deinen Bann geschlagen hast, dann die
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