Kinder des Judas
um den Vampiren auf die Spur zu kommen.« D’Adorno goss ihnen Tokaya in die Gläser, und sie stießen miteinander an. »Ich entschuldige mich feierlich bei Ihnen, Herr von Schwarzhagen, dass ich Sie und Cabrera damals ausgelacht habe.«
»Entschuldigung angenommen.« Viktor lachte und trank den süßen Wein in einem Zug leer. »Hier, ich habe sogar etwas von Luther gefunden, und zwar zu schmatzenden Toten«, sagte er und las vor. »
Masticatio mortuorum. Es schrieb ein Pfarrherr Georgen Rörer gen Wittenberg, wie ein Weib auf einem Dorf gestorben wäre, und nun, weil sie begraben, fresse sie sich selbst im Grabe, darum wären schier alle Menschen im selben Dorf gestorben.«
Er sah sofort die Nachzehrerin vor sich, die siedamals auf dem Friedhof gestellt hatten; rasch goss er sich Wein nach. Doch auch der Alkohol vermochte es nicht, die Erinnerung daran zu verwischen.
»Ich habe versucht, mir Rohrs
Dissertatio de Masticatione Mortuorum
zu besorgen«, sagte D’Adorno, »aber es ist so gut wie unmöglich. Immerhin, Freiherr von Schertz’
Magia posthuma
soll zur Buchmesse in Leipzig nachgedruckt werden.« Er fächerte Zeitschriften vor Viktor auf. »Aber jetzt kommt es:
Le Glaneur
aus Den Haag hat die Vampire in seiner Ausgabe vom dritten März, und mir wurde gesagt, dass auch der
Mercure de France
in Paris etwas bringen wird. Das
London Journal
hat ebenfalls Anfang März etwas geschrieben.« Er stieß wieder mit Viktor an. »Auf Sie! Ich werde meinen Enkelkindern einmal sagen können, dass ich dabei war, als wir das makabre Wunder in die Welt hinaustrugen!«
»Jedes Wort fällt auf fruchtbaren Boden«, meinte Viktor – und setzte merklich gedämpft hinzu: »Es wird eine regelrechte Hysterie geben.« Er öffnete einen Brief, in dem sich eine Einladung nach Berlin zur königlich-preußischen Societät befand: Das Gremium wollte ihn auf Geheiß des preußischen Königs zu den
Vampyres
anhören und seine Berichte aus seinem eigenen Mund vernehmen. Viktor war überwältigt. Er sollte den preußischen König treffen!
»Dazu muss man kein Prophet sein. Bald weiß jeder in ganz Europa davon.« D’Adorno hob einen Brief. »Dieses Schreiben jedoch wirft einen Schatten auf Ihr Tun.«
»Was meinen Sie damit, Exzellenz?«
»Es kommt von Ihrem Vater. Er bittet mich, Sie zu maßregeln und Sie dazu zu bringen, endlich die versprochenen Pelze zu senden.« D’Adornos Augen richteten sich auf ihn, die Blicke forschten nach der Wahrheit. »Sie haben doch Pelze besorgt, Herr von Schwarzhagen? Denn im Moment sind Marder und Zobel dabei, ihr Winterfell abzustreifen, und …«
»Ja, sicher. Das habe ich. Eine ganze Scheune voll«, unterbrach Viktor ihn missmutig. Es war ihm keine Zeit geblieben, sich um die Ware zu kümmern, und jetzt wartete sein alter Herr in der Lausitz verzweifelt darauf. Aber was waren schon Pelze im Vergleich zu der Entdeckung, die er ans Licht gezerrt hatte? Welch Nebensächlichkeit! »Ich sende sie ihm, sobald die letzten Jäger geliefert haben. Es wird nicht mehr lange dauern«, wiegelte er ab. Viktor bevorzugte eine Lüge, um sich des Geldes aus der Heimat zu versichern. Sein Vater war der Letzte, der Verständnis für sein wissenschaftliches Tun aufbrachte, und Viktor fürchtete, dass er ihm nach der Offenbarung der Wahrheit kein Geld mehr schicken würde. Aber noch brauchte er es.
»Das werde ich ihm schreiben, Herr von Schwarzhagen.« D’Adorno goss nach. »Und ich soll achtgeben, dass Sie nach Hause reisen, sobald die Arbeit abgeschlossen ist. Ihr Vater schrieb mir, dass er sich wegen Ihrer Vampirbegeisterung Sorgen mache. Das gelte für die ganze Familie.«
»Außer meinem Bruder.« Viktor lächelte. »Danke für die kleine Standpauke im Namen meines Vaters, Marquis. Ich weiß, wie ich sie einzuschätzen habe.« Er betrachtete die Unmengen an Papier. »Könnten Sie mir wohl einen Soldaten mitschicken, der mir beim Tragen hilft? Ich bin zu Fuß da.«
»Das werde ich.«
Viktor nahm wahllos Briefe in die Hand. Die Umschläge, auf denen er die Handschriften von Susanna erkannte, legte er ungeöffnet beiseite. »Sonst nichts? Keine Briefe von einer Baronin?«
D’Adorno stutzte. »Nein, Herr von Schwarzhagen. Das wäre mir sicherlich aufgefallen.« Er sagte nicht mehr, doch der Tonfall verriet, was er dachte.
Viktor war das gleichgültig. Noch immer keine Nachricht von Scylla. Hatte er sich getäuscht, als er sich eingebildet hatte, ihre Nähe zu spüren?
Er beschloss, sich auf die Suche zu
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