Kinder des Judas
möchte die Antwort auf Italienisch hören«, verlangte er. Scylla bewältigte die Anforderung spielend, und mit jeder Erwiderung, die sie gab, wuchs ihr Selbstvertrauen, bis es ihr beinahe nichts mehr ausmachte, dass sie angestarrt wurde. Die Zeit verging, neunzig Fragen wurden ihr gestellt, wie Karol angekündigt hatte, und nicht ein einziges Mal geriet sie ins Stocken.
Der Ischariot erhob sich. »Ich denke, dass wir mit dem, was wir vernommen haben, zufrieden sein dürfen. Kommen wir zum Corpora.« Er winkte ihr. »Dreh dich ein paar Mal langsam um die eigene Achse, damit wir dich besser sehen können«, befahl er freundlich, setzte sich und faltete die Hände zusammen. »Danach ziehst du dein Kleid aus, liebes Kind.«
Sie hatte mit der Drehbewegung bereits begonnen und stockte.
Sofort setzte Gemurmel ein, und der Ischariot sah zu Karol. Der Blick war missbilligend. »Ihr habt in Eurem Brief geschrieben, dass sie gehorcht.«
Scylla machte einen Schritt nach vorne. »Nein, Herr Ischariot, verzeiht mein Zögern, aber ich hatte Euch nicht richtig vernommen«, log sie. Das Letzte, was sie wollte, war, ihren Vater in Verlegenheit zu bringen, weil sie sich zierte.
»Es geht um deine Anatomie, Kindchen«, hörte sie Metunovas Stimme. »Wir möchten sehen, wie wohl du gebaut bist.
Mens sana in corpore sano.«
In Scylla schlugen die Gefühle wogengleich empor. Ihr schossen viele verschiedene Gedanken durch den Kopf, die alle Flucht vor den vielen neugierigen Augen verlangten, und schwemmten das neugewonnene Selbstvertrauen aus ihr heraus.
Der Ischariot lächelte sie immer noch an, dann machte er eine elegante, auffordernde Handbewegung.
Scylla schloss die Augen, streifte zunächst ihr Kleid ab und zeigte sich der Cognatio im weißen Untergewand, dabei drehte sie sich langsam um sich selbst. Sie wollte nichts in den Gesichtern ablesen können.
»Nun bitte den Rest, liebes Kind«, bekam sie den Befehl vom Ischariot. »Und bedecke deine Blöße nicht. Wir sind an jeder Kleinigkeit deines Leibes interessiert.«
Sie gehorchte, öffnete die Verschnürung ihres Oberteils. Mieder, Unterrock, Strümpfe – alles fiel der Reihe nach auf die hölzerne Platte, bis sie vollkommen nackt vor ihnen stand. Scylla atmete tief und schnell, während sie ihren Armen und Händen befahl, sich nicht vor die Scham und die Brüste zu legen; die Spitzen hatten sich aufgerichtet. Sie versuchte zu schlucken, doch ihr Hals war zu sehr ausgetrocknet. Noch immer sah sie die Menschen um sich herum nicht an.
»Danke, liebes Kind«, vernahm sie den Ischariot, der zufrieden klang. »Jetzt leg dich bitte auf den Rücken vor uns hin.« Scylla öffnete erleichtert die Augen und machte Anstalten, in die Hocke zu gehen und sich halbwegs schicklich nach ihren Kleidern zu bücken, doch das scharfe »Nein!« des Leiters der Cognatio hielt sie zurück. »Ich habe nichts davon gesagt, dass du dich anziehen sollst. Die Examinierung ist noch nicht vorüber.«
Ein weiterer Fehler. Jetzt sah sie entschuldigend zu ihrem Vater, aber Karol rührte sich nicht. Er erwiderte ihren Blick, ansonsten verharrte er stumm auf seinem Stuhl. Tun durfte und konnte er nichts.
»Ihr müsst ebenso stark sein«, gab Metunova ihm Beistand und berührte sachte seinen Oberschenkel. Sie räusperte sich, erhob sich und näherte sich mit dem Gesicht Scyllas Unterschenkel. Als sie die Hand ausgestreckt hinter sich hielt, reichte ihre Elevin ihr sofort ein Vergrößerungsglas, das sie vor dasrechte Auge hielt. »Die Haut ist absolut rein«, sagte sie. »Alles ist ebenmäßig gewachsen. Jedenfalls nach meinen Maßstäben und nach einem ersten Eindruck.«
»Den es mit Fakten zu verifizieren gilt, Liebste«, betonte einer der Barone und erhob sich ebenfalls; gleich darauf standen alle bis auf Karol um Scylla herum und berührten sie.
Scylla ertrug die forschenden Finger. Mit Maßbändern wurden Länge und Breite festgehalten, zirkelähnliche Geräte dienten dazu, den Abstand von Stirn, Nase und Kinn genau zu erfassen. Die Wangenknochen, Schlüsselbeine, die Länge der Arme, Finger – nichts blieb ausgespart.
Und noch mehr geschah.
Das Licht schien seine Kraft zu verlieren und tauchte die Männer und Frauen in Schatten, bis sie für Scylla nur noch huschende Umrisse waren, die Gegenstände in den Fingern hielten und raunten. Dabei wurden die fließenden Handbewegungen immer schneller, mal wurde sie zufällig gestreift, dann spürte die den warmen Atem einer Baronin an ihrer Schläfe,
Weitere Kostenlose Bücher