Kinder des Wassermanns
von dort ihre Falken fliegen. Es war auch ein geeigneter Ort, um ungestört unter vier Augen zu reden.
Tomislav stieg bis nach oben und lehnte sich, während er noch pustete, hinaus und betrachtete den Ausblick. Unter ihm herrschte wie immer reges Leben. Diener, Handwerker, Hunde, Federvieh, Stimmen, Schritte, Klappern von Metall, Geruch nach Rauch und Dung und Brot im Backofen. Dahinter reiften die Getreidefelder der Ernte entgegen und wogten unter einer Brise, die ein paar weiße Wolken über den blauen Himmel segeln ließ. Vögel füllten die Lüfte, Tauben, Krähen, Drosseln und Lerchen. Am südlichen Horizont bildete der Urwald eine grüne Mauer, die von dem See nichts als einen Schimmer sehen ließ.
Tomislavs Blick wanderte den Krka entlang, der an Skradin vorbeifloß und in jenes Wasser mündete. Eine Meile außerhalb des Dorfes wuchsen ein paar Apfelbäume neben dem Fluß. Sie waren umzäunt, damit die Schweine die abgefallenen und die Jungen die noch angewachsenen Früchte nicht nahmen. Tomislav sah den Helm und die Lanzenspitze eines Reiters neben dem Zaun aufblitzen. Weitere Wachen umgaben den ganzen Obstgarten. Unter seinen Zweigen saßen die Fremden als Gefangene.
Schritte auf der Treppe veranlaßten den Priester, sich umzudrehen. Der Zhupan trat ein – ein hochgewachsener Mann mit zerklüfteten Zügen. Die Narbe eines Schwertstreichs verzerrte seinen Mund und zog sich über die linke Wange. Sein von Weiß durchschossenes schwarzes Haar war schulterlang, der Bart jedoch kurz gestutzt. Seine Tracht bestand wie üblich aus einer gestickten Bluse, in die Halbstiefel gesteckten Hosen und einem Dolch im Gürtel. Schmuck trug er nicht.
„Gott gebe Euch einen guten Tag“, grüßte Tomislav und schlug das Kreuz. Dasselbe hätte er zu dem bescheidensten alten Weiblein gesagt.
„Das mag auch von Euch abhängen“, gab Iwan Subitsch trocken zurück.
Tomislav konnte sich ein Stirnrunzeln nicht ganz verkneifen, als Vater Petar, der Burgkaplan, hinter dem Zhupan eintrat. Das war ein hagerer Mann, der selten lächelte. Die Priester tauschten ein steifes Nik-ken aus.
„Nun, habt Ihr eine nützliche Nachricht für uns?“ fragte Iwan.
Tomislav antwortete zögernder, als es seine Gewohnheit war. „Vielleicht – vielleicht auch nicht. Mein Verstand reicht nicht aus, diese Sache auf einmal zu begreifen.“
„Das ist kaum eine Überraschung“, fuhr Petar dazwischen. „Mein Sohn, ich habe Euch gewarnt, es sei nichts als Zeitverschwendung, nach einem zu schicken, der … der eine tief im Wald gelegene Gemeinde betreut. Nichts für ungut, Tomislav. Ich hoffe, Ihr werdet mir beipflichten, daß diese Angelegenheit von gelehrten Doktoren untersucht werden muß, daß der Ban oder vielleicht des Königs eigene Regenten eine Entscheidung fällen sollten.“
„Wir würden nicht allzubald von ihnen hören“, sagte Iwan. „Inzwischen haben wir mehr als hundert fremdartige Ankömmlinge zu bewachen und zu füttern. Es belastet uns, sie zu ernähren, ganz zu schweigen davon, daß ihre Anwesenheit Unbehagen unter dem Volk hervorruft.“
„Was habt Ihr aus Schibenik erfahren?“ erkundigte sich Tomislav.
Iwan zuckte die Schultern. „Was ich Euch schon gestern, als Ihr ankamt, in Kürze mitgeteilt habe. Das sinkende Wrack eines ausländischen Schiffes; Tote von dieser Rasse und von Menschen, die Italiener – höchstwahrscheinlich Venetianer – zu sein scheinen, die sie angegriffen haben müssen. Soviel haben die Leute des Satnik herausbekommen. Klugerweise hat er Vorsichtsmaßnahmen getroffen, daß sich die Kunde nicht ausbreitet. Die Leichen wurden insgeheim beerdigt, die Soldaten erhielten strengen Befehl, niemandem etwas zu sagen. Trotzdem werden Gerüchte entstehen, aber wir hoffen, sie werden nichts als Gerüchte bleiben und nach einer Weile absterben.“
„Ausgenommen hier“, brummte Petar und fuhr mit den Fingern durch seinen blonden Bart. Seine andere Hand ließ die Perlen des Rosenkranzes klappern.
„Ja. Nun, nach und von Skradin gibt es nicht viel Verkehr“, meinte Iwan. „Ich habe eine Bitte um Hilfe abgesandt – nach Lebensmitteln und Verstärkung –, habe aber bisher noch keine Antwort erhalten. Zweifellos hat der Satnik bereits einen Brief an Ban Pawel unterwegs, in dem er um Instruktionen nachfragt, und wird vorsichtig sein mit dem, was er tut, bis er sie hat. Das läßt die ganze Bürde auf meinen Schultern, weshalb ich an Rat suche, was ich bekommen kann.“
„Ganz gleich, von wem?“
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