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Kinder des Wassermanns

Kinder des Wassermanns

Titel: Kinder des Wassermanns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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Halbblutgeschwister einander. Tauno versuchte, hinter das Erstaunen des anderen zu blicken und ihn als Mann abzuschätzen. Er war jung, von noch mächtigerem Bau als die meisten seiner kräftigen Gefährten, hübsch auf seine Art mit seinem breiten Gesicht, den kleinen Augen und dem groben schwarzen Haar. Unter Fett und Schmutz hatte seine Haut beinahe Elfenbeinfarbe. Nur die Andeutung eines Bartes war an ihm zu erkennen. Er erholte sich schnell und überraschte die Geschwister, indem er sie auf Norwegisch, wenn auch mit Akzent, fragte: „Seid ihr Ausgestoßene? Braucht ihr Hilfe?“
    „Nein, ich danke dir, aber wir gehören hierher“, erwiderte Tauno. Das Dänisch, das er kannte, war der Sprache der Kolonisten genügend ähnlich – ähnlicher, als es Hauaus Dialekt gewesen war –, daß es keine Verständigungsschwierigkeiten geben sollte. Er lächelte und rollte sich herum, damit der Inuk ihn besser sehen konnte.
    Dem Aussehen nach hätte er mit seiner Größe und seinen dicken Muskeln schon ein Norweger sein können, wären nicht seine Bartlosig-keit, die bernsteinfarbenen Augen und der grüne Schimmer in dem schulterlangen Haar gewesen. Aber kein erdgeborener Mensch hätte sich im Wasser nackt, nahe Grönland, im Herbst wohlgefühlt. Ein Stirnband, ein Gürtel, an dem zwei Obsidian-Messer hingen, und eine dünne Rolle geölten Leders, die unter einem Speer mit Knochenspitze an seine Schultern gebunden war, stellten seine ganze Kleidung dar.
    Eyjan war ähnlich ausgestattet. Auch sie lächelte und verwirrte den Inuk.
    „Ihr … seid …“ Ein vielsilbiges Eingeborenenwort folgte. Es schien „Geschöpfe des Zaubers“ zu bedeuten.
    „Wir sind eure Freunde“, antwortete Tauno in dieser Sprache; nun war er es, der stockend sprach. Er nannte seinen und seiner Schwester Namen.
    „Diese Person wird Minik genannt“, gab der junge Mann zurück. Er hatte Mut gefaßt, während seine Gefährten sich nervös in einiger Entfernung hielten. „Wollt ihr nicht an Bord des Umiaks kommen und euch ausruhen?“
    „Nein …“ protestierte ein anderer.
    „Sie sind keine von den Nachbarn“, stellte Minik fest.
    Widerstrebend gaben die übrigen nach. Solch ein Mangel an Gastfreundschaft war bei ihrer Rasse unerhört. Auf Angst vor Hexerei konnte es nicht zurückzuführen sein. Sie lebten ja in einer Welt der Geister, die immerzu besänftigt werden mußten, und hier waren nur zwei menschenähnliche Wesen, die nichts Bedrohliches an sich hatten und bestimmt wundervolle Geschichten zu erzählen wußten. Irgend etwas Schreckliches mußte zwischen ihnen und Vestri Bygd geschehen sein. Und doch …
    Eyjan bemerkte es zuerst. „Tauno!“ rief sie. „Sie haben eine weiße Frau bei sich!“
    Er hatte zu sehr auf die Harpunen geachtet, um sich das Boot, das sich näherte, genauer anzusehen. Nun sah er, daß etwa in der Mitte eine Frau kniete, die größer war als die anderen. Sie starrte so ausdruckslos ins Weite wie ihre Gefährtinnen. Über einer zurückgeworfenen Parka-Kapuze schimmerten ihre Flechten golden.
    Die Kinder des Wassermanns kletterten vorsichtig, damit sie das Boot nicht zum Kentern brachten, an Bord, und noch vorsichtiger hockten sie sich am Bug nieder, bereit, jederzeit wieder aufzuspringen. Die Inuit waren auf der Vogeljagd gewesen; das Boot war mit Alks vollgepackt und blutig. Tauno und Eyjan richteten ihre Aufmerksamkeit auf den einzigen Mann, der im Heck saß, grau, verrunzelt, raffzähnig. Er vollführte Gesten gegen sie, keuchte, kreischte und wurde ganz plötzlich still und rief aus: „Die da bringen kein Übel für uns mit sich, das ich riechen kann.“ Er wandte sich an sie: „Diese Person wird Panigpak genannt, und einige behaupten, er sei ein An-gakok …“ – ein Schamane, Zauberer, Vertrauter von Geistern und Dämonen, Heiler, Seher und, wenn es nötig war, einer, der Böses auf Feinde herabwünschen konnte. Obwohl er so bescheiden wie bei seinem Volk üblich und vor Alter verschrumpelt war, hatte er etwas von dem Stolz eines wilden Tieres an sich. Tauno mußte an Wolf und Eisbär denken.
    Die Frauen quietschten und schwatzten; ein paar lachten mit halb ängstlichem Gackern. Ihre Augen flitzten wie schwarze Käfer über den hohen, breiten Wangenknochen hin und her. Von ihnen ging ein Geruch nach fleischlicher Hitze und, nicht unangenehm, nach Rauch und Öl und dem Urin aus, in dem sie sich die Haare wuschen. Die Männer lenkten ihre eigenen Fahrzeuge herbei. Sie verhielten sich ein bißchen

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