Kinder
Da brauchst du gar nicht mehr zu
fragen.«
»Und wann nehmt ihr ihn euch vor?«
»Das musst du nicht wissen, Kleiner. Aber schau einfach morgens, ob
er zur Schule kommt – kommt er nicht, hat er uns getroffen.«
Kommissar Mertes rief gegen neun Uhr abends an. Er hatte
noch einmal die Ermittlungsakte durchgesehen und die Unterlagen zu den anderen
toten Kindern angefordert. Die Kollegen hatten zwar überrascht reagiert, dass
er noch immer an diesem abgeschlossenen Fall arbeitete, aber sie hatten ihm die
Unterlagen trotzdem überlassen. Mord verjährte ja nicht, und wenn die Kripo
meinte, da noch etwas überprüfen zu müssen, sprach natürlich nichts dagegen.
Neue Zeugen konnte Mertes einstweilen noch nicht befragen, aber auch
die Protokolle der damaligen Ermittlungen hatten manches ergeben. So waren die
Moellers vor vier Jahren neu an das Internat Cäcilienberg gekommen, davor
hatten sie an zwei staatlichen Gymnasien in Rheinland-Pfalz unterrichtet, zu
denen er bisher noch keinen Kontakt aufgenommen hatte.
Franz Moeller hatte damals als Klassenlehrer in der siebten Klasse
begonnen, eine seiner Schülerinnen war das Mädchen, das sich noch im selben
Schuljahr im Keller des Internats erhängt hatte. Rosemarie Moeller bekam zunächst
keine Klasse zugeteilt, war aber Mentorin einiger Oberstufenschüler – darunter
der Junge, der vor drei Jahren durch den Unfall mit Fahrerflucht ums Leben
gekommen war.
So ging es weiter, und Rainer Pietsch schöpfte zum ersten Mal wieder
Hoffnung, dass sie gegen Franz und Rosemarie Moeller doch noch etwas ausrichten
konnten. Und es war sicher kein Nachteil, wenn sie Kriminalhauptkommissar
Mertes auf ihrer Seite hatten, dem die Todesfälle im Internat offensichtlich
nach wie vor keine Ruhe ließen.
Rico und seine Freunde lauerten Michael nach dem
Nachmittagsunterricht auf. Tobias und Marc hatten Rico den Stundenplan ihrer
Klasse kopiert.
»Na, Kleiner?«, fragte Rico gedehnt und stellte sich breitbeinig
mitten auf den Gehweg.
Michael blieb stehen, sah den anderen kurz an und versuchte dann
erst auf der einen, dann auf der anderen Seite an ihm vorbeizuschlüpfen. Doch
Rico verstellte ihm jedes Mal den Weg.
»Was ist denn?«, fragte Rico und grinste breit. »Keine Zeit für ein
Pläuschchen?«
Der Jugendliche redet ziemlich geschwollen daher, ging es Michael
durch den Kopf, und vermutlich ist er nicht halb so cool, wie er tut. Aber er
ist auf jeden Fall zu groß und vermutlich auch zu stark, um sich mit ihm
anzulegen.
»Lass mich bitte durch«, sagte Michael.
»Soll ich?«
Michael nickte.
»Ach … nö!«
»Was willst du von mir?«
Rico grinste nur.
»Jetzt lass mich bitte durch, ich verpass sonst noch meinen Bus!«
»Kannst ja den Krankenwagen nehmen«, zischte es plötzlich in
Michaels Nacken. Er fuhr herum und sah sich einem fies grinsenden Gesicht
gegenüber, dessen Narben unter dem rechten Auge gefährlich aussahen. Dann
raschelte es in den Büschen neben dem Gehweg, und drei weitere Jugendliche
traten hervor. Einer von ihnen hielt ein Messer in der Hand, das er spielerisch
auf- und zuklappte.
»He, lasst mich! Ihr verwechselt mich sicher, ich kenn euch doch gar
nicht!«
»Wir verwechseln dich?«, höhnte der Narbige. »Dann lass mal überlegen … Du bist also nicht der süße Michael, der Freund von Tobias und Marc?«
Michael schluckte. Nun war ihm klar, wer diese Schläger auf ihn
angesetzt hatte.
»Und der kleine Bruder der schönen Sarah?«
Der Narbige grinste nun noch breiter und machte mit seinen Händen
eine obszöne Geste.
»Weißt du, Kleiner, die gefällt uns. Die gefällt uns sehr. So sehr,
dass wir immer wieder an sie denken müssen. Und was uns nicht gefällt, ist, wie
du mit Tobias und Marc umspringst.«
Der Junge mit den beiden Narben trat einen Schritt zurück und sah
Michael abschätzig an.
»Also müssen wir uns was überlegen, damit du Tobias und Marc künftig
besser behandelst. Und vielleicht auch was, damit wir nicht ständig an deine
schöne Schwester denken müssen.«
Panisch geworden blickte sich Michael um. Die Jungs grinsten
höhnisch..
»Mir fällt da gerade etwas ein«, knurrte der Typ mit dem Messer und
trat dicht hinter Michael. Dann kratzte er leicht mit der Klinge seines Messers
über Michaels Wange und zischte ihm ins Ohr: »Hinknien!« Als sich Michael nicht
regte, drückte er ihm die Klinge etwas fester auf die Wange. Schließlich ließ
sich Michael langsam auf die Knie sinken.
Der Junge mit den Narben nickte dem mit dem
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