ihrer Pflicht nachgekommen war und verlockenden Freizeitangeboten entsagt hatte. Aber sie konnte sich an keinen derartigen Fall erinnern. An keinen einzigen!
Einige Minuten lang schwieg die Anwältin, sie beobachtete den alten Mann, der seine Pfeife schmauchte und weiterhin in die Glut starrte.
»Du bist tatsächlich ein weiser, alter Mann!«, flüsterte sie.
Von der Seite konnte sie in der Dunkelheit sein Grinsen nur erahnen.
»Nicht jeder mit einem Doktorhut ist klug, nicht jeder mit einem Plastik-Kopfschmuck ist dumm!«
Hastig stand Rebecca auf, sie wusste jetzt, was zu tun war.
»Danke!«, sie streckte ihm die Hand hin.
Ohne aufzustehen , ergriff der Indianer ihre Rechte, er blickte sie zum ersten Mal direkt an. Seine Augen waren dunkel, fast schwarz, seine Gesichtszüge wie in Stein gemeißelt.
»Hör auf dein Herz, junge Lady!«, verkündete er mit lauter Stimme. »Und wenn es doch ein Fehler ist: Drauf geschissen! Zumindest hast du so ein bisschen Spaß im Leben gehabt!« Er lachte laut auf, drehte sich aber gleich wieder von ihr weg.
Rebecca ging zu ihrem Zelt. Erst langsam, doch bald verfiel sie in einen Laufschritt.
Ihr Vorhaben konnte nicht warten, sie würde in dieser Nacht ohnehin kein Auge zukriegen.
Während des Gesprächs mit dem Alten war ihr alles klar geworden: Sie liebte Markus noch! Liebte ihn mehr als alles andere!
Und sie war unglaublich dumm! Sie war so zornig gewesen wegen der Nacktbilder in den Zeitungen, dass sie nicht nachgeforscht hatte, wie es tatsächlich dazu kommen konnte und wer die Bilder an die Öffentlichkeit gebracht hatte. Nein, sie hatte sich mit den Erklärungen von Ben und ihrer Familie zufriedengegeben.
Jetzt wusste sie: Selbst wenn Markus das tatsächlich getan hatte, musste sie mit ihm reden, musste sich von ihm alles erklären lassen.
Und sie würde ihm verzeihen.
66.
Trotz der stundenlangen Autofahrt fühlte sich Rebecca kein bisschen müde, als vor ihr die Bürotürme von Boston in der ersten Morgensonne glitzerten.
Eines war ihr nach dem nächtlichen Gespräch mit dem alten Indianer klar geworden: Sie musste ihr Leben ändern. Musste herausfinden, was richtig war, und niemand würde ihr dabei helfen. Das musste sie selbst erledigen. Ihr wurde bewusst, dass sie es ein Leben lang bereuen würde, wenn sie jetzt keine klare Entscheidung traf, sondern die Zeit verstreichen ließ und passiv beobachtete, wie sich ihre Zukunft entwickelte.
Die Wohnung war kalt und leer.
Die erste neue Erkenntnis des Tages: Hier wollte sie nicht mehr leben. Egal, was passieren würde, sie bräuchte eine neue Bleibe. Eine mit weniger Protz, mit mehr Seele.
Was war der nächste Schritt? Ihr Tatendrang hatte sie zurück in die Stadt geführt, unterwegs hatte sie tausend Szenarien in Gedanken durchgespielt. Aber jetzt hatte sie keinen Schimmer, was sie unternehmen sollte.
Schlaf dich aus, dann wird alles klar für dich! , riet Abigail. Vielleicht vertreibt das auch diese wirren Gedanken aus deinem Kopf!
Pam stampfte energisch am Boden auf: » Du musst endlich die Wahrheit herausfinden! Musst sie zur Rede stellen! «
»Wen?«, fragte Rebecca laut.
Alle! Ben, Markus, Elke, Vater, Tottenham. Eben alle!
Einige Minuten lang irrte sie ziellos in der Wohnung umher. Es war schwierig, klare Gedanken zu fassen. Sie musste irgendwo beginnen.
Hastig zerrte sie ihr Notebook aus der Tasche, sie setzte sich damit auf die Couch. Ungeduldig wartete sie, bis die Verbindung zum Internet hergestellt war.
Sie öffnete Facebook, klickte unschlüssig herum, endlich fand sie die kurze Liste ihrer Freunde. Komisch, neben dem Namen von Markus war kein Bild mehr von ihm zu sehen! Becky klickte auf Markus A.
Dieser Nutzer hat sein Konto bei Facebook deaktiviert. (Möchtest du benachrichtigt werden, wenn er sein Konto wieder aktiviert? Dann klicke hier .)
Markus war nicht mehr bei Facebook. Warum? Ihretwegen? Wollte er keinen Kontakt mehr?
Rebecca öffnete die Webmail-Seite, welche die Sekretärin ihr eingerichtet hatte. Hastig tippte sie einige Zeilen.
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Von : »R. Roseman« <
[email protected]>
An : »Markus Amrust«
Betreff : Bitte melde dich bei mir!
Lieber Markus,
Es tut mir alles so leid! Ich weiß nicht, was da wirklich passiert ist und wer die Bilder veröffentlicht hat, aber es ist mir auch egal. Ich weiß nur, dass ich dich über alles liebe und ohne dich nicht leben