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Kindermund (German Edition)

Kindermund (German Edition)

Titel: Kindermund (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pola Kinski
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sich hoch wie ein Thron in der Mitte des Salons breitmacht. Der Weg dorthin ist mühsam, wie in sumpfigem Wasser kommen meine Füße in dem weichen Teppich kaum vorwärts. Babbo lässt sich auf einem Berg von Kissen nieder, ohne mich loszulassen. Er zieht mich näher zu sich heran, presst meine Hand an seine Hose. Ich spüre etwas Hartes darunter. Sofort ziehe ich die Hand zurück, wieder ekle ich mich. Er küsst mein Ohr, riecht an meinem Hals, er atmet schnell und aufgeregt, ich fühle mich komisch. Langsam öffnet er Knopf für Knopf mein Kleid, schiebt die Träger von meinen Schultern. Leicht wie Papier fällt es zu Boden, lautlos. Dabei sieht er mich unentwegt an. Mit weinerlichem Gesicht streift er meinen Schlüpfer über die Beine, der fällt auf mein Kleid, das wie ein weißer Haufen meine Füße bedeckt. Nackt stehe ich vor ihm. Seine Lippen beben, er haucht seinen warmen Atem auf meine Haut, zieht mich zu sich aufs Bett. Ich friere, habe Angst. Ich versuche unter ihm wegzuschlüpfen, aber er hält mich eisern fest. Seine Zunge fährt hart über meine Brust, meinen Bauch, er drückt mit dem Kopf meine Schenkel auseinander. Ich reiße den Mund auf, ich schreie, kein Ton verlässt meine Kehle. Die Zunge wird fordernder, immer brutaler, es tut weh, ich liege starr. Sein Atmen wird laut, er stöhnt um sein Leben. Mir ist schlecht. Es wird still und schwarz. Mein Körper ist taub; ich bin tot. Ich gehe durch einen Spiegel ins Meer. Als jüngste Tochter des Meerkönigs verfolge ich die blauen Fische, will dem Geheimnis der Muschel auf die Spur kommen. Mit meinem Fischschwanz bin ich ziemlich schnell. Meine langen Haare schleifen über den Meeresboden.
    Ich werde ins richtige Leben zurückgerissen, als man mir hastig die Unterhose hochzerrt, das Kleid über den Kopfstülpt, den Mantel überwirft. Ich trage heute mein weißes Kommunionskleid, das Zeichen der Reinheit.
    Er schiebt mich zur Tür, dann hält er noch einmal inne, seine Hände ruhen auf meinen Schultern, sie sind schwer. Ich werde noch kleiner unter der Last, er sucht meinen Blick, hält ihn fest. Er beschwört mich, mit niemandem darüber zu sprechen, sonst komme er ins Gefängnis. »Hörst du, was ich dir sage, niemals!«, befiehlt er. Ich werde geschüttelt. Von ganz weit her höre ich das Hämmern seiner Stimme, aber es geht mich nichts an. Jetzt werde ich in den Fahrstuhl, dann in den wartenden Wagen gedrückt. Mir ist, als ob der Film rückwärts liefe.
    Zu Hause abgeliefert, spreche ich kein Wort, gebe keine Antwort. Ich kann nicht. Ich sinke in mein Bett, in den Schlaf, falle in einen modrigen Schacht, falle, falle …
    Auf den Bahngleisen liegt Pola. Tot. Neben ihr kniet Pola, beugt sich über sie, ganz nah an ihrem Gesicht, besorgt. Pola geht an ihnen vorbei, sieht sie ruhig und ernst an, dann verschwindet sie.
    Vergeblich versucht man mich am nächsten Morgen für die Schule zu wecken. Auch den Tag über ist es nicht möglich. Man fragt sich, ob ich ernsthaft krank sei. Erst spät in der Nacht komme ich wieder zu mir. Ich versuche zu begreifen, wo ich bin. Vorsichtig öffne ich die Lider. Alles um mich wirkt fremd, unwirklich. Ich fühle mich wie in einer Glaskugel. Dann fasse ich einen Entschluss, stelle die Füße auf den Boden und stehe auf. Ich klemme mir das Kleid und den Mantel, die immer noch auf dem Boden vor meinem Bett liegen, unter die Arme. Durch den Türspalt horche ich, ob auch niemand im Flur ist. Dünn wie ein Schatten husche ich ins Bad, schließe mich ein. Ich muss mich beeilen, krame eine Nagelschere aus der Schublade, knie mich auf die kalten Fliesen und beginne auf das Knäuel aus Mantel und Kleid einzustechen. Voller Wut, immer verzweifelter steche ich zu,ich bin nur noch Hass. Erst als ein Gewirr aus Fäden und Fetzen vor mir liegt, bin ich erlöst. Das Zeichen der Reinheit gehört mir nicht mehr.
    Jemand rüttelt ungehalten an der Tür. Panisch kratze ich die Fetzen zusammen, wickle sie in ein Handtuch, verschnüre es zu einem festen Paket und rufe, dass ich sofort fertig sei. Als sich die Schritte entfernen, drehe ich das Schloss, drücke die Klinke nach unten und horche, ob die Luft rein ist. Das Stoffpaket an meine Brust gepresst, schlüpfe ich ins Kinderzimmer und verstaue es in meinem Ranzen. Dann lege ich mich wieder ins Bett.
    Am nächsten Morgen verlasse ich früher als sonst die Wohnung. Ich steige in den Bus zur Schule, bleibe sitzen, als wir sie erreichen, und fahre mit bis zur Endstation. Hier bin ich noch

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