Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kindermund (German Edition)

Kindermund (German Edition)

Titel: Kindermund (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pola Kinski
Vom Netzwerk:
sollen wohl denken, dass er der Boss ist und wir seine Frauen. Egal. Hauptsache, wir haben Spaß! Biggi will sofort in die Stadt fahren, um mir Kleider zu kaufen, denn Babbo hat es ihr aufgetragen und ihr dafür viel Geld gegeben.
    Lustvoll wühle ich mich durch Berge von Kleidern und suche all das aus, was ich schön finde. Meine Stiefmutterbremst mich manchmal, erinnert mich an meinen Vater und daran, wie zornig er sein werde, wenn ihm etwas nicht gefällt. Doch mich interessiert das nicht in diesem Moment. Als wir auf die Straße treten, sind die Laternen schon eingeschaltet. Natürlich stürzt kein Chauffeur auf uns zu, um uns Tüten und Kartons abzunehmen. Wir schleppen unser Gepäck selbst über die Piazza di Spagna. Dort protzt das schwarze Ungetüm von Auto, alle Türen stehen offen. Der Chauffeur, das sehe ich erst jetzt, trägt keine Uniform. Sein weißes Hemd ist bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, zwischen der üppigen Brustbehaarung glänzt aufdringlich ein großes goldenes Kreuz an einer fetten Gliederkette. Er liegt hingegossen auf der Lederbank, ein Bein aufgestellt, das andere hängt lässig nach draußen, er raucht und lässt sich von der gaffenden Menge bewundern. Vor allem genießt er sichtlich das aufreizende Defilieren der Frauen vor der Windschutzscheibe. Wir lassen auffällig laut Schachteln und Tüten vor der Fahrertür auf den Boden fallen. Der Herr öffnet müde ein Augenlid, muss sich jetzt aber doch erheben. Betont cool öffnet er mit einer Hand den Kofferraum und wirft den Plunder hinein. Die andere Hand steckt die ganze Zeit über in seiner Hosentasche. Ich glaube, er bewundert meinen Vater sehr.
    Gerade ist die Sonne untergegangen, und man könnte glauben, ganz Italien ist auf die Straße gelaufen, um sich zu zeigen. Die Menschen stehen in Gruppen vor den Bars, erzählen sich wichtige Dinge und lachen. Diese Lust am Leben macht auch mich fröhlich. Am liebsten möchte ich baden in dieser Unbeschwertheit. Wir finden drei freie Plätze in einem Café und bestellen die größten Eisbecher auf der Karte. Motorroller knattern durch die Menge, die Leute springen nicht mal zur Seite. Alles ist so unkompliziert. Plötzlich, von einer Sekunde zur anderen, sind sie alle verschwunden. Die Cafés, die Plätze leer, als wäre es nie anders gewesen, eine Vision! Die Mama hat zum Abendessen gepfiffen.
    Wir drei sind die letzten, die Kellner klappern mit den Tassen, kehren den Müll zusammen. Sie pfeifen ein Liedchen. Es wird Zeit, nach Hause zu fahren. Kaum sind wir eingestiegen, knallt Paolo die Tür zu und tritt aufs Gas. Mit quietschenden Reifen rasen wir davon.
    Biggi schließt auf. Hinter mir keucht Paolo mit den Tüten. Er tut so, als würde er das ganze Auto hochschleppen. Es sind aber nur Tüten und ein kleiner Koffer. Nachdem er alles mit großen Gebärden und viel Stöhnen im Flur abgestellt hat, verzieht er sich ganz schnell.
    Die Wohnung ist so still und leicht ohne Babbo. Noch im Hineingehen schlüpfe ich aus den Schuhen, meine Jacke rutscht von den Schultern, vor dem Bad streife ich in einer einzigen Bewegung Jeans, T-Shirt, Strümpfe, Schlüpfer ab. Ich genieße es, alles liegenzulassen und in die Wanne zu steigen. Mein Vater würde mich so lange anschreien, bis ich mich unter dem Badeschaum verkröche und ertränke. Ich bin so unendlich froh, dass er in London ist.
    Biggi ruft mich zum Abendessen. Wir sitzen im sogenannten Salon an einem ovalen Tisch mit weißen Stühlchen, die mit glänzendem Stoff bezogen sind. Biggi sagt: »Achtzehntes Jahrhundert!« Damit kann ich wenig anfangen. Aber das Essen schmeckt toll. Ich kann gar nicht aufhören! Obwohl es nur ein paar banale Toasts mit Schinken und Käse sind. Gegessen wird mit den Fingern. Krümel fallen unter den Tisch. Auch Schlürfen ist erlaubt und Ellenbogen auf dem Tisch und Sprechen mit vollem Mund. Meine Schwester und ich benehmen uns besonders schlecht und haben viel Spaß dabei.
    Das Telefon läutet. Schon an der Art des Klingelns wissen wir, dass es er ist. Sonst ruft ja auch keiner hier an. Er spricht mit jeder von uns, will genau wissen, wo wir heute waren, was wir gemacht haben, wer uns gesehen hat, wen wir getroffen haben, was wir jetzt gerade tun. Wir lügen ihn an, alle drei. Ich habe schnell gelernt, was ich sagen darf, ohne ihn zornig zu machen, und was ich auf jeden Fall verheimlichen muss. Manchmal habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen, aber es geht schnell wieder vorbei.
    Die Wohnung meines Vaters liegt

Weitere Kostenlose Bücher