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Kinderstation

Kinderstation

Titel: Kinderstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bis an die Brust.
    Aber was ihm an Körpergröße fehlte, machte er an Mut wieder gut. Er starrte zu Dr. Julius hinauf und machte den Eindruck, als gälte es, einen Teufel auszutreiben.
    »Sie sind gottlos!« rief er.
    »Nein, Monsignore.« Dr. Julius behielt seine Ruhe. »Ich bin ein gläubiger Katholik. Aber ich lehne es ab, Gott für alle Dinge verantwortlich zu machen, die hier auf Erden geschehen. Fühlte Er sich verantwortlich, ließe Er Feuer und Schwefel regnen, um endlich den Menschen Vernunft beizubringen. Hier geschieht so vieles in seinem Namen, vor dem Er sich schaudernd abwenden würde.« Dr. Julius ging um Monsignore Blond herum und setzte sich an den runden Rauchtisch. Prof. Karchow blinzelte ihn an. Julius sah ostentativ weg. Natürlich, die Kohlen aus dem Feuer hole ich. Er bleibt der Grandseigneur der Medizin. »Ich denke, wir sollten in medias res gehen«, sagte er laut. »Wer hat Sie geschickt, Monsignore?«
    »Mein Gewissen.«
    »Haben Sie mit den Eltern Lehmmacher schon gesprochen?«
    »Nein. Aber ich werde es tun.«
    »Da werden Sie etwas Erhebendes erleben. Die Eltern sind nämlich auch gegen die Trennung.«
    »Ach«, sagte Monsignore Blond bloß.
    »Ja, aber nicht aus religiösen, ethischen, moralischen oder sonstwelchen Motiven, sondern weil sie das Angebot haben, ihre Siamesen als Jahrmarktattraktion auszustellen. Für 100 DM täglich.«
    »Pfui«, rief Monsignore Blond entrüstet.
    »Es ergibt sich nun folgende logische Entwicklung: Kirchlicherseits wird eine Trennung abgelehnt, weil die Gefahr besteht, daß ein Kind dabei stirbt. Also bleiben sie zusammen. Ungetrennt aber werden sie – das kann niemand verhindern, auch Sie nicht, Monsignore – eine Schaubudennummer. Ich glaube nicht, daß dies im Sinne der Kirche ist.«
    »Durchaus nicht!« Monsignore Blond setzte sich in den dritten Sessel und nahm mit bebender Hand eine Zigarette aus dem goldenen Kasten, den ihm Karchow hinhielt. »Ich werde dem Vater ins Gewissen reden –«
    »Das Gewissen hört bei 100 DM täglich auf, Monsignore. Man muß real sehen. Lehmmacher ist ein armer Gärtner. Für monatlich 3.000 DM wird er Feueranbeter, wenn man es verlangt. Wir leben heute in einer absolut kommerziellen Welt, so traurig es sein mag.« Oberarzt Dr. Julius sah, wie Monsignore Blond ihm innerlich recht gab, aber äußerlich noch immer um seine Position rang. »Den Kindern ist mehr geholfen, wenn wir das Wagnis der Trennung wählen, als daß sie die Jahre ihres Lebens als einen Fluch Gottes betrachten. Und das werden sie, wenn sie denken lernen und begreifen, welches Schicksal man ihnen zumutet.«
    Monsignore Blond verabschiedete sich bald, nicht ohne die Bemerkung, daß er erst selbst mit den Eltern sprechen wolle. Prof. Karchow hielt Dr. Julius zurück, als dieser dem Geistlichen folgen wollte.
    »Noch ein Wort, Julius –«
    »Bitte, Herr Professor?«
    »Ich habe die ersten Röntgenaufnahmen machen können. Vom hinteren Arterienast aus haben sie einige gemeinsame Adern.«
    Dr. Julius schwieg einen Augenblick. Dann sagte er stockend:
    »Ich habe das befürchtet, Herr Professor. Vielleicht hat der Monsignore doch recht … Bei dieser Operation muß Gott neben mir stehen –«
    »Was will der denn schon wieder hier?« sagte Dr. Wollenreiter mürrisch, als die Pfortenschwester ihm Ernst Bergmann meldete. »Führen Sie ihn ins Wartezimmer. Ich muß erst rückfragen.«
    Der Leiter des Jugendamtes, den Wollenreiter sofort anrief, bestätigte, daß man Bergmann geschrieben habe. »Vielleicht hat er den Brief noch nicht bekommen«, sagte der Amtsleiter. »Er soll vorgestern hinausgegangen sein.«
    »Dann muß er ihn schon längst bekommen haben.«
    »Bei der Post ist alles möglich. Wir haben einmal einen Eilbrief in den Nachbarort geschickt und einen gewöhnlichen Brief nach Flensburg. Der nach Flensburg war eher da als der Eilbrief, der nur zwölf Kilometer Wegstrecke hatte.«
    »Was will denn der alte Bergmann hier noch?«
    »Wahrscheinlich das Kind sehen. Solange er noch nichts weiß, steht ihm das zu. Zeigen Sie ihm Maria Ignotus. Morgen hat er ja das Schreiben, und es ist vorbei.«
    Wollenreiter empfing daher Ernst Bergmann sehr reserviert und sagte zu Beginn sofort: »Das Kind war letzte Nacht sehr unruhig. Ganz kurz nur, Herr Bergmann, dann muß ich Sie wieder bitten, zu gehen.«
    Bergmann nickte stumm. Er ging neben Wollenreiter über den langen Flur und merkte sich, wieviel Zimmer zur Gartenseite hin lagen. Wenn jedes Zimmer ein

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