Kinderstation
schweißte Renate und Dr. Julius aus den Blech- und Eisentrümmern.
Ein Krankenwagen raste mit Sirene und Blaulicht zur nächsten Klinik.
Das bereitstehende Chirurgenteam begann sofort mit den Operationen. Sie arbeiteten an zwei Tischen.
Renate hatte einen Schulterblattriß und einen Unterschenkelbruch. Dr. Julius war gegen das Armaturenbrett geflogen und hatte sich den Brustkorb eingedrückt. Da zwei Rippen gebrochen waren und ihre scharfkantigen Enden in den Brustraum hineinstachen, wurde ihm sofort der Brustkorb geöffnet.
Prof. Karchow wurde telefonisch von einem Sommerabendfest weggerufen.
»Julius verunglückt?« stotterte er. »Das ist ja eine Katastrophe!« Er legte den Hörer verstört neben die Gabel, hörte nicht mehr, was die Stimme weitersprach, sondern wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Und in acht Tagen soll die Operation sein –«, fügte er leise hinzu.
Vierzehn Tage schlichen dahin.
Der Sommer neigte sich zum Herbst, die ersten Stürme schüttelten die frühverwelkten Blätter von den Bäumen. Gärtner Philipp Lehmmacher erschien jeden Tag in der Klinik ›Bethlehem‹ und jammerte Prof. Karchow etwas vor.
»Wann werden Sie denn nun getrennt?« fragte er immer wieder. »Warum geht es nicht voran? Gut, der Herr Oberarzt ist verunglückt … aber es muß doch noch andere Operateure geben! Ich wäre dafür, daß wir nun endlich anfangen.«
Die verdächtige Eile Lehmmachers, der sich zuerst gegen die Trennung gewehrt hatte, wurzelte auf dem gleichen Grund wie das damalige Angebot von Willibalds Abnormitätenschau: Sobald die Trennung gelungen war, wollten zwei Firmen den Namen Lehmmachers und das Bild der nun einzelnen Kinder für ihre Werbung benutzen. Er hatte bereits in einem Vorvertrag die ›Persönlichkeitsrechte‹ für diese Reklame übertragen, aber Geld gab es erst, wenn operiert war. Und zwar wollte eine Besteckfirma mit dem Slogan werben: ›So scharf wie das Operationsmesser, das die Zwillinge trennte sind auch unsere Menümesser Marke Hansablitz‹. Die zweite Werbung lautete: ›Nur Lukas-Hafermehl gab die Kraft, daß wir einzeln weiterleben‹.
»Es hat keine Eile –«, sagte Prof. Karchow die ersten Male zu Philipp Lehmmacher. »Die Kinder entwickeln sich ja normal! Ob heute oder in drei Wochen … das spielt keine Rolle.«
»Haben Sie eine Ahnung, Herr Professor«, antwortete Lehmmacher dumpf. »Diese seelische Belastung. Wenn Sie nicht operieren wollen, lasse ich die Kleinen in die Universitätsklinik überführen. Die machen es sofort –«
Das war zwar gelogen, aber es hörte sich gut an. Nach fünf Tagen ließ Karchow sich verleugnen und verwies Lehmmacher an Dr. Wollenreiter. Dieser war geduldiger. Er hörte sich die Klagegesänge an und meinte dann: »Lieber Vierlingsvater – ganz im Vertrauen, wir können gar nicht operieren.«
»Wir … wir können nicht?« stotterte Lehmmacher. »Wieso?«
»Es liegt am Blut.«
»Am Blut?«
»Ja. Wir müssen den Kindern ja nach der Trennung viel neues Blut geben. Die gleiche Blutgruppe, die sie haben.«
»Natürlich. Das ist ja immer so.«
»Sehen Sie, und da liegt der Hund begraben: Wir suchen noch nach der seltenen Blutzusammensetzung der Kinder.«
»Suchen. Aber wieso denn?« Lehmmacher setzte sich. Er hatte zu dem rauhen Wollenreiter unbedingtes Vertrauen. »Ist sie etwa auch nicht normal.«
»Das kann man wohl sagen.« Wollenreiter blieb ernst. Solche Situationen liebte er, sie gehörten zu seinem zwiespältigen Wesen. »Haben Sie als Gärtner mit viel Dünger zu tun?«
»Natürlich –«, stammelte Lehmmacher.
»Phosphaten?«
»Auch. Ist ja im Kunstdünger –«
»Aha! Da haben wir es!« Wollenreiter sprang auf. Auch Lehmmacher zuckte hoch. »Daher das leuchtende Blut!«
»Leuchtend?« stotterte Lehmmacher völlig verwirrt.
»Ja! Bei einer Blutprobe, die wir am Abend machten, fiel es uns plötzlich auf. Als wir die Blutprobe im Reagenzglas wegtrugen ins dunkle Labor, schillerte das Blut in der Dunkelheit. Es phosphoreszierte. Wir waren wie vor den Kopf geschlagen. So etwas hat es noch nie gegeben. Jetzt ist ja alles klar … Sie haben im Laufe Ihres Lebens soviel Phosphorgas eingeatmet, daß –«
Für Philipp Lehmmacher war diese ärztliche Mitteilung umwerfend. Sofort rannte er von der Klinik aus zu einigen Zeitungsredaktionen und unterbreitete ihnen die sensationelle Mitteilung: Meine siamesischen Zwillinge haben leuchtendes Blut. Ein noch nie gesehenes Phänomen.
Der Redakteur war mit
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