Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
der Tonfall war ein anderer. Bedrohlich. Er spielte nicht mehr. Er war woanders. Er war ein anderer geworden.
Er drückte die andere Hand auf ihren Mund, damit sie nicht schreien konnte. Margot versuchte zu beißen. Vergeblich. Gelähmt vor Schreck und Entsetzen spürte sie, wie sich Davids Finger in ihrem Höschen weiter vorarbeiteten. Sie spürte, wie sich ihre Seele langsam von ihrem Körper löste. Auch sie war jetzt zu einer anderen Person geworden.
Was da passierte, betraf sie nicht.
Er würde ihr die Shorts ausziehen und sie dann da auf dem Boden vergewaltigen …
Das betrifft dich nicht …
Plötzlich wurde Davids Hand gewaltsam aus ihrem Höschen gezogen, und sie hörte, wie er über ihr einen Fluch ausstieß. Dann spürte sie einen Ruck. David schrie ein weiteres Mal vor Schmerzen, und noch ehe sie aufstehen konnte, sah sie sein Gesicht, das dicht neben dem ihren gegen den Boden gedrückt wurde.
„Sie tun mir weh!“
„Halts Maul, du Wichser!“
Sie kannte diese Stimme. Sie drehte sich um und erblickte die Mitarbeiterin ihres Vaters – die mit dem eigenartigen Gesicht, aber supercoolen Klamotten -, die David Handschellen anlegte, während sie ein Knie in seinen Rücken drückte.
„Alles in Ordnung?“, fragte sie Samira Cheung.
Sie nickte, dann streifte sie die Erde und die Grashalme von ihren Knien.
„Ich hätte es nicht getan“, stöhnte David, der noch immer mit einer Wange am Boden klebte. „Ich schwör´s Ihnen: Ich hätte es nicht getan! Es war bloß ein Spiel!“
„Was hättest du nicht getan?“ Samiras Stimme klang so schneidend und bedrohlich wie ein Rasiermesser. „ Sie vergewaltigt , meinst du das? Das ist schon passiert. Das, was du gemacht hast, ist juristisch gesehen eine Vergewaltigung, du Trottel!“
David begann zu schluchzen.
„ Lassen Sie ihn in Ruhe“, sagte Margot.
„WAS?“
„Lassen Sie ihn … Er wollte mir nur Angst einjagen. Er wollte mich nicht vergewaltigen … Das stimmt.“
„Meinst du das ernst? Und woher weißt du das?“
„Lassen Sie ihn gehen.“
„Margot …“
„Ich werde jedenfalls keine Anzeige erstatten. Sie können mich nicht dazu zwingen.“
„Margot, wegen solcher …“
„Lassen Sie ihn in Ruhe! Lassen Sie ihn gehen!“
Sie begegnete Davids Blick und glaubte in seinen goldbraunen Augen eine Mischung aus Unverständnis, Verblüffung und Dankbarkeit zu erkennen.
„Wie du willst … Aber du kannst dich drauf verlassen, dass ich es deinem Vater erzähle.“
Sie nickte beschämt unter dem wütenden Blick der Polizistin. Die Handschellen klickten beim Öffnen. Margot sah, wie Samira David aufhalf und ihre teerschwarzen Augen bis auf wenige Zentimeter vor sein Gesicht hielt.
„Geht dir die Muffe? Das sollte sie nämlich. Um Haaresbreite hättest due dein Leben und ihres ruiniert, und ich werde in Zukunft ein Auge auf dich haben. Tu mir den Gefallen und mach eine Dummheit. Nur eine einzige. Egal welche. Ich bin zur Stelle …“
David warf Margot einen Blick zu.
„Danke.“
Er sah sie mit einem Gesichtsausdruck an, den sie nicht eindeutig entziffern konnte. War es Scham? Dankbarkeit? Angst? Dann ging er weg. Samira wandte sich ihrerseits Margot zu, die noch immer auf dem Boden saß.
„Du findest wohl allein zurück“, sagte die Polizistin frostig.
Sie nahm denselben Weg wie David. Margot hörte, wie sie Zweige zur Seite bog und mit eiligen Schritten den Pfad an den Tennisplätzen hinaufging. Ihr Herz flatterte jetzt schon eine ganze Weile, und sie holte mehrfach tief Luft, während sie sich fragte, durch welches Wunder die Mitarbeiterin ihres Vaters genau im richtigen Moment zur Stelle gewesen war. Ließ er sie überwachen? Sie wartete, bis es wieder still war, bis die Nacht den Wald wieder in Besitz genommen hatte. Erst dann lehnte sie sich zurück, streckte sich im Gras aus und sah zum Himmel auf, der zwischen dem schwarzen Laubwerk immer grauer und dunkler wurde. Sie steckte sich die Hörer in die Ohren und spielte Sweet Dreams von Marilyn Manson – und dann begann sie zu weinen und bis zur Erschöpfung zu schluchzen.
Sie ahnte nicht, dass sie beobachtet wurde.
Zuerst hörte er den Motorenlärm und die Musik. Sie kamen durch den Wald – sehr schnell … Elvis Elmaz schaltete den Fernseher stumm, wandte den Kopf und blickte Richtung Fenster. Er glaubte ein schwaches Licht zu erkennen, das im Wald flackerte. Es war fast dunkel. Scheinwerfer … Er sprang vom Sofa auf und stürzte zu der Waffe, die in einer
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