Kindertotenlied: Thriller (German Edition)
Aber dann war es schon zu spät. Das Programm war dann längst installiert.
Ihre maßgeschneiderte Zeus-Version würde nun eine Karte vom Computersystem der Haftanstalt anfertigen und sie ihr zuschicken, sobald der Direktor sich ins Internet einloggte. In Echtzeit unterrichtet, würde sie die Karte lesen und könnte dann die Dateien anvisieren, die sie interessierten. Sie würde ihren Befehl auf dem Server hinterlegen, Zeus würde ihn entgegennehmen und ihr bei der nächsten Internet-Einwahl die angeforderten Dateien zusenden. Und das ging immer so weiter, bis sie über alle notwendigen Informationen verfügte. Dann würde sie Zeus einen Selbstzerstörungsbefehl schicken, und das Programm würde verschwinden. Der Angriff ließ sich dann nicht mehr nachweisen und auch nicht mehr bis zu ihr zurückverfolgen.
Als diese Aufgabe erledigt war, nahm sie sich eine andere vor. Ihr Gewissen regte sich kurz, ehe sie in Martins Rechner eindrang. Aber schließlich handelte sie im Interesse aller, und indem sie die Informationen direkt an der Quelle abschöpfe, ohne darauf zu warten, dass man sie an sei weiterleitete, beschleunigte sie ja nur den Prozess, und davon profitierten alle. Schließlich war es der Rechner an seinem Arbeitsplatz. Falls er etwas verbergen wollte, würde er diese Dinge nur auf seinem Privatcomputer hinterlegen. Sie sah seine E-Mails durch und nahm sich dann seine Festplatte vor. Bei den letzten Tropfen Gin und Tonic prüfte sie rasch eine Reihe von Ordnern in C:\Windows und runzelte die Stirn. Dieses Programm war beim letzten Mal noch nicht da … Für so etwas hatte sie ein bemerkenswert gutes Gedächtnis. Vielleicht war es ja harmlos. Sie setzte ihre Erkundung fort und stutzte erneut. In ihrem Gehirn begann eine Alarmleuchte zu blinken: noch eine verdächtige Datei. Sie begann die Festplatte zu scannen und ging sich einen neuen Gin Tonic holen. Als sie wieder vor dem Rechner saß, nahm sie das Ergebnis verblüfft zur Kenntnis. Die Virenschutzprogramme des Innenministeriums hätte ein als „Malware“ eingestuftes Programm garantiert abgefangen, und Martin hatte die Sicherheitsvorschriften ganz bestimmt nicht missachtet. Hätte er eine verdächtige E-Mail oder eine E-Mail mit unbekanntem Absender erhalten, so hätte er sie bestimmt nicht geöffnet, sondern in den Papierkorb verschoben, oder aber er hätte die Abteilung für Computersicherheit gebeten, ein Auge darauf zu werfen. So blieb nur noch die Möglichkeit übrig, dass ein Malware-Programm direkt von einer Person installiert worden war, die sich physisch vor Ort befunden hatte.
Jemand hatte die Malware direkt auf den Rechner downgeloadet …
Sie war sich unschlüssig, wie sie weiter verfahren sollte. Sie musste Martin Bescheid geben. Aber wie sollte das gehen, ohne ihm zu verraten, wie sie an die Information gelangt war? Wie würde er reagieren? Sie raufte sich die Haare und dachte nach, den Ellbogen neben der Tastatur aufgestützt und die Augen auf den Bildschirm geheftet. Zuerst wollte sie mehr über die Personen herausfinden, die das Programm aufgespielt hatten. Sie nahm einen Notizzettel und ein Kuli und begann die Möglichkeiten aufzulisten, aber ihr wurde sehr schnell klar, dass es nicht viele waren:
Kollegen
Festgenommene
Externe Besucher
In den beiden letzten Fällen war es unwahrscheinlich, dass Martin sie so lange unbeaufsichtigt gelassen hätte, dass sie das hier geschafft hätten. Sie fügte eine letzte Zeile hinzu:
Putzfrau …
32
In der Finsternis
Gegen 23 Uhr warf ein alter Mann beim Gassigehen einen argwöhnischen Blick auf seinen Hund und auf die kaputte Straßenlaterne zwei Meter neben dem Auto. Servaz hoffte, dass er nicht die Gendarmerie alarmieren würde. Er telefonierte im Abstand von dreißig Minuten abwechselnd mit Vincent und mit Samira, ohne das Haus aus den Augen zu lassen. Im Fenster im ersten Stock brannte immer noch Licht.
Kurz vor Mitternacht stutzte er, als eine Gestalt hinter dem Fenster vorbeiging. Danach ging das Licht aus, während sich gleichzeitig da, wo die beiden Flügel des Gebäudes zusammenstießen und wo sich das Treppenhaus befinden musste, ein kleines Buntglasfenster erhellte. Wenig später ging im Erdgeschoss über der dunklen Silhouette des Wintergartens in einem dritten Fenster das Licht an. Servaz verrenkte sich den Hals, um den Eingang zu überwachen, der mächtige Stamm der hohen Pinie und die dichte Gartenhecke behinderten ihm die Sicht. Dennoch sah er, wie einige
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