Kindsköpfe: Roman (German Edition)
Oliver, als machte das irgendetwas besser. »Nikki hat in Köln den halben Tequila-Vorrat vernichtet.«
Frau Tiedemann bestrich Lottes Brötchen mit Nutella, obwohl das Mädchen in die zweite Klasse ging und Brötchen nicht nur fehlerfrei buchstabieren, sondern auch eigenhändig schmieren konnte.
»Was gab’s denn zu feiern?«, fragte sie ohne großes Interesse.
»Es ist doch Karneval«, sagte Niklas, bevor Oliver auf die Idee kam, von Eva und ihren Plänen zu erzählen. Er konnte sich schon denken, wie seine Mutter das finden würde.
»Tarneval!«, rief Hannes begeistert. Er sollte im Sommer eingeschult werden, verwechselte aber immer noch gelegentlich t und k.
»Karneval«, belehrte ihn seine Großmutter.
»Versuch’s mal mit Fasching«, schlug Niklas vor, was dem Jungen auch fehlerfrei gelang. Hannes, der als Einziger in der Familie nicht die feingeschnittene Tiedemann-Nase geerbt hatte, saß friedlich auf Olivers Schoß und spielte mit dessen Baseballmütze, während sein Patenonkel ihm einen Karnevalsklassiker vorsang.
»Wat och passeet, dat eine es doch klor: Et Schönste, wat m’r han, schon all die lange Johr – es unser Veedel.«
»Freust du dich schon auf den Zug?«, wandte sich Niklas an seine Nichte.
»Hm.« Lotte, die noch ihren Pyjama trug, schielte auf ihr Kostüm. Das rosa Rüschen-Kleid lag zusammen mit einer silbernen Krone auf dem Sofa; Luzie, die Puppe aller Puppen, trug eine exakte Kopie des Kleides. Oma Tiedemann, die sich mit gelegentlichen Schneiderarbeiten und Änderungen ihre bescheidene Rente aufbesserte, hatte die Sachen genäht.
»Leider kann ich nicht mitkommen«, sagte Niklas. »Ich will erst mal zu eurer Mutter fahren.«
»Kann ich mit?«, fragte Lotte.
»Nein, wir treffen uns alle nach dem Zug im Krankenhaus.« Niklas sah zu seinem Freund, der aufgehört hatte zu singen.
»Unser Veedel«, echote Hannes.
»So ein Scheißmist … «, quengelte Lotte, die es gar nicht gern hatte, wenn man ihre gutgemeinten Anregungen vom Tisch fegte, und so fegte sie ihrerseits ihre Lieblings-Luzie mit einer trotzigen Handbewegung zu Boden.
»Komm mal bitte zu mir.« Niklas versuchte ein gewinnendes Lächeln aufzusetzen, doch seine Gesichtsmuskeln waren noch vom Tequila in Mitleidenschaft gezogen. So zog er stattdessen eine Grimasse, als wolle er das Kind fressen.
»Ich will lieber zu Oliver«, maulte Lotte. »Hannes sitzt da schon die ganze Zeit. Jetzt bin ich dran.«
»Der Arme bricht ja zusammen!«, versuchte Niklas einzugreifen, doch mit einem Griff hatte Oliver den Quälgeist auf seinen rechten Schenkel gehoben, und Lotte grinste triumphierend in die Runde.
Niklas fühlte sich erschöpft, das kleine Biest hatte ihn geschickt ausgespielt. Auf der Fahrt ins Krankenhaus fiel ihm wieder ein, was Inken zum Thema Energiefressen gesagt hatte. Er würde nochmal mit Oliver über das Kinderkriegen sprechen müssen.
Die weiße Decke ihres Bettes war ordentlich zurückgeschlagen, als Niklas das weiße Zimmer betrat. Von seiner Schwester keine Spur. Nur ein gekreuzigter Jesus blickte vom Kopfende des Bettes auf ihn herab.
Inkens Bettnachbarin saß aufrecht in ihrem weißen Bett, sah fern und stopfte dabei Erdnussflips in sich hinein. Auf dem Kopf trug sie eine bunte Strickmütze, darunter war sie kahl; im Nacken waren Ausläufer violetter Streifen sichtbar, die man auf ihren Hinterkopf gezeichnet hatte.
»Die ist gerade abgeholt worden, zu Untersuchungen.« Ihr Blick hing am Monitor, wo sie die Formation des Rosenmontagszuges verfolgte. Die Frau sprach sehr laut, um das Dröhnen der Karnevalsmusik zu übertreffen. »Und das am Feiertag! Scheint ja wirklich schlimm zu stehen um die Kleine.«
Niklas stellte die Tasche, in der seine Mutter das Nötigste zusammengepackt hatte, auf das leere weiße Bett und machte sich auf die Suche nach einem Arzt. Auf dem weißen Flur herrschte Totenstille, kein Mensch weit und breit. Auch in der Anmeldung konnte er niemanden finden, doch aus einem Nebenraum war ausgelassenes Gelächter zu hören. Er klopfte und öffnete die Tür.
Zwei weißbekittelte Frauen saßen beim Frühstück; die Jüngere trug eine hellblaue Trainingsjacke über ihrem Kittel, sodass man nur die ersten drei Buchstaben ihres Namensschildes erkennen konnte: Hei–. Karnevalsbedingt hatte sie sich Katzenschnurrhaare mit Kajal auf die Wange gemalt; ihre ältere Kollegin begnügte sich mit einer roten Pappnase, die sie vorübergehend auf der Stirn trug, um ungehindert frühstücken zu
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