King City: Stadt des Verbrechens (German Edition)
die Menge noch weiter angewachsen war und inzwischen sogar Leute mit dem Auto eingetroffen waren, um sich die Show anzusehen.Einer der Wagen war Fallons Mercedes, der in einer Nebenstraße parkte, von wo wer auch immer hinter den getönten Scheiben saß, einen guten Blick auf den Tatort hatte.
Doch im Moment konnte sich Wade keine Gedanken darüber machen, möglicherweise erschossen zu werden. Es gab viel zu viel zu tun, und er hatte nicht genug Zeit, um es alles zu schaffen.
»Billy, bitte stellen Sie Ihren Wagen so hin, dass Sie mit den Scheinwerfern den Tatort beleuchten. Wir werden bald kein Tageslicht mehr haben«, sagte er. »Dann möchte ich, dass Sie alles, was Sie am Boden finden, eintüten und beschriften. Und fotografieren Sie es, bevor Sie es aufheben.«
»Ist das nicht eigentlich Aufgabe der Spurensicherung?«
»Tja, das ist es«, erwiderte Wade und bestäubte das Tor auf der Suche nach Fingerabdrücken mit Grafitpulver.
Während der folgenden vierzig Minuten sicherten beide Polizisten schweigend und methodisch Spuren, wobei sie gegen die vorrückende Zeit und die sinkende Sonne anarbeiten mussten. Wade suchte die Karosserie des Autos nach Fingerabdrücken ab, bis das einzige Licht, das ihm noch zur Verfügung stand, von den Scheinwerfern des Streifenwagens stammte.
Es war dunkel. Zeit aufzuhören.
In etwas mehr als einer Stunde war es ihnen gelungen, mehrere Hundert Fotos zu schießen, zwei Umzugskartons mit eingetüteten Beweisstücken zu füllen und Dutzende von Fingerabdrücken zu nehmen.
Sie verstauten die Kartons im Kofferraum von Wades Streifenwagen und entfernten das Plastikband der Polizeiabsperrung.
Nun war nur noch die Leiche der Frau da.
Wade nahm sich die Rolle mit der Plastikfolie. Er hatte sie gekauft, um den Fußboden abzudecken, während er die Wache strich, doch man konnte die Folie auch für andere Zwecke nutzen. Er bedeckte den Rücksitz seines Streifenwagens damit und schnitt das benötigte Stück mit dem Teppichmesser ab. Dann ging er hinüber zu dem Schrottauto und breitete ein weiteres Stück daneben aus. Billy ließ ihn nicht aus den Augen.
»Sie müssen mir mal eben helfen«, sagte Wade.
»Wobei?«
»Wir werden die Leiche aus dem Auto heben und sie auf die Plastikfolie am Boden legen.«
»Das ist nicht richtig, Sarge«, sagte Billy.
»Ich bin völlig Ihrer Meinung«, erwiderte Wade und beugte sich in das Autogerippe.
Die Leiche der Frau stank. Nicht so sehr nach Verwesung, sondern weil sich nach ihrem Tod in ganz natürlicher Weise Blase und Darm entleert hatten. Auch hatte die Leichenstarre noch nicht wieder nachgelassen.
Wade schob seine Hände unter ihre Schultern, Billy nahm ihre Beine, und gemeinsam legten sie sie auf die Plastikfolie.
»Und was jetzt?«, fragte Billy.
»Sie fahren zurück zur Wache«, sagte Wade. »Bevor Sie die Fotos ans Hauptquartier schicken, machen Sie Kopien für uns und drucken Sie sie aus. Bleiben Sie bei Charlie, bis ich zurück bin. Wenn irgendetwas passiert, begleiten Sie sie. Ich möchte nicht, dass einer von Ihnen beiden allein losfährt.«
»Und wo wollen Sie hin?«
Wade hockte sich hin, schob seine Arme unter die Plastikfolie und hob die tote Frau hoch.
»Ich liefere die Leiche ab«, sagte er.
Wie ein Schauspieler im Rampenlicht wandte sich Wade im Licht der Scheinwerfer von Billys Wagen der Menge auf der anderen Straßenseite zu, trug die Leiche zu seinem Auto und bettete sie behutsam auf den Rücksitz.
Als er sich wieder aufrichtete, warf er einen Blick auf die Menge. Alle, die er bisher kennengelernt hatte, waren da. Claggett, Terrill, Bruder Ted und Mrs Copeland. Timo und die Jungs, die seinen Mustang zertrümmert hatten. Mandy und ihr Vater.
Und Duke Fallon. Er hatte das Fenster seines Mercedes herunterfahren lassen, damit Wade ihn sehen konnte und wusste, dass er dort war.
Bruder Ted umklammerte eine zerfledderte Bibel, überquerte die Straße und kam auf Wade zu.
»Darf ich?«
Wade nickte. Bruder Ted spähte auf den Rücksitz, schluckte einmal hart, sprach ein Gebet, das Vaterunser und einen Psalm. Dann beugte er sich vor, um der Toten ein Kreuz auf die Stirn zu zeichnen, aber Wade hielt ihn zurück, bevor er die Leiche berühren konnte.
»Vielen Dank, Pater«, sagte Wade.
»Nein, ich danke Ihnen, Sergeant.« Bruder Ted hatte Tränen in den Augen.
Wade stieg in seinen Wagen und fuhr davon.
In Meston Heights gab es nicht den kleinsten Hügel. Das einzig Erhabene war eher gesellschaftlicher Natur. Es war
Weitere Kostenlose Bücher