King City: Stadt des Verbrechens (German Edition)
eine Aura von Wohlstand und Macht, die von den Bauherren bereits 1910 als Werbemasche entwickelt worden war, da es sich bei dem Viertel sonst nur einfach um ein weiteres Stück zu Bauland umgewidmetem Acker gehandelt hätte.
Als Wahrzeichen und um dem Flecken vertrockneter Erde eine gewisse Klasse zu verleihen, hatten die Landentwickler einen unglaublich pompösen Torbogen errichtet, der dem Arc de Triomphe nachempfunden war, allerdings in sehr viel kleinerem Maßstab, mit einem großen Springbrunnen davor, den eine Nymphe aus Marmor zierte.
Die Häuser hinter dem Torbogen waren architektonisch zwar sehr unterschiedlich, aber alle von bombastischer Größe und pompös. Sie galten als Muster für alle späteren Bauten, die bis zum heutigen Tag nichts von ihrer Bedeutung verloren hatten.
Die Villa im spanischen Kolonialstil am Mantley Drive erinnerte mit ihren roten Dachschindeln, den Türmchen, der mächtigen Holztür und dem geschwungenen, überdachten Balkon, der sich an einer Seite des Hauses entlangzog, an eine alte kalifornische Missionsstation.
Wade legte die Leiche der Frau mitsamt der Plastikfolie auf die Türschwelle und stellte die Kartons mit den Beweismittelndaneben. Dann stieg er wieder in seinen Streifenwagen und rief Polizeichef Gavin Reardon auf seinem privaten Handy an.
»Ja?«, meldete sich der Chief.
»Guten Abend, Chief«, sagte Wade. Im Hintergrund hörte er Gesprächsfetzen, Klaviermusik und das Klappern von Geschirr. Der Chief war offenbar in einem Restaurant oder auf einer Party. »Hier ist Tom Wade.«
»Woher haben Sie diese Nummer?«
»Roger hat sie mir gegeben«, erwiderte Wade. »Für Notfälle.«
»Sie sind da unten völlig auf sich gestellt«, erwiderte der Chief. »Ich dachte, das hätte ich Ihnen absolut deutlich gemacht.«
»Oh, das haben Sie«, sagte Wade. »Niemand kümmert sich um die Kriminalität in Darwin Gardens, solange sie nicht die eigene Türschwelle erreicht.«
»Und warum zum Teufel rufen Sie mich dann an?«
»Weil sie gerade Ihre erreicht hat«, erklärte Wade. Dann legte er auf.
FÜNFZEHN
Als Wade wieder auf der Wache eintraf, fand er dort Charlotte an Billys Schreibtisch vor, wo die beiden zusammen die Tatortfotos durchsahen.
»Danke, dass Sie geblieben sind, Billy«, sagte Wade. »Sie können jetzt nach Hause fahren.«
»Was haben Sie mit der Leiche gemacht?«, erkundigte sich Billy, während er aufstand.
»Er hat sie in der Leichenhalle abgeliefert«, sagte Charlotte irritiert. »Was glaubst du denn, was er sonst damit gemacht hat?«
Billy zuckte die Achseln und warf Wade einen Blick zu, der sich an dessen Platz setzte und ebenfalls die Fotos durchsah. Eines musste Wade dem Jungen lassen. Er hatte einen guten Instinkt. Das war ein erfreuliches Zeichen. Vielleicht wurde er irgendwann doch mal ein ganz guter Cop, wenn er lernte, seinem Bauchgefühl zu vertrauen.
»Sie haben heute wirklich gute Arbeit geleistet«, sagte Wade.
»Danke«, erwiderte Billy. »Es hat Spaß gemacht.«
»Spaß?«, hakte Charlotte nach. »Eine Frau ist ermordet worden!«
»Und wieso bist du jetzt auf mich sauer? Ich hab sie nicht umgebracht«, erwiderte Billy und ging durch die Hintertür hinaus zu seinem Wagen.
Wade entdeckte eine Großaufnahme von dem Gesicht des toten Mädchens und betrachtete sie. Menschen, die eines natürlichen Todes starben, sahen oft aus, als würden sie schlafen. Aberseiner Erfahrung nach war das selten der Fall, wenn jemand umgebracht wurde. Ihr Gesicht strahlte dann nicht diesen gewissen Frieden aus.
Er wandte sich Charlotte zu. »Was ist aus der obdachlosen Frau geworden, die wir gestern Abend mitgebracht haben?«
»Ich habe ihr angeboten, sie auf dem Weg nach Hause bei einem Frauenwohnheim abzusetzen«, sagte Charlotte. »Aber sie hat mich gebeten, sie zurück zum Lincoln Park zu fahren. Also habe ich das getan.«
»Hatten Sie keine Bedenken, den beiden Deputys, die wir festgenommen hatten, oder vielleicht ein paar von deren Freunden über den Weg zu laufen?«
»Der Gedanke ist mir überhaupt nicht gekommen«, sagte sie.
Also hatte sie großen Mut bewiesen. Oder große Dummheit. Doch dasselbe konnte man auch über viele Dinge sagen, die er selbst tat.
»Ich bin sicher, Billy hat Sie über alles in Kenntnis gesetzt. Also was denken Sie?«
»Ich denke, dass Sie eine Menge Regeln, was den Umgang mit Tatorten angeht, gebrochen haben«, sagte sie. »Sollte der Fall vor Gericht gehen, wird das die Arbeit der Staatsanwaltschaft nicht unbedingt
Weitere Kostenlose Bücher