King City: Stadt des Verbrechens (German Edition)
an das Geräusch gewöhnten und es mit einer gewissen Sicherheit in Verbindung brachten, anstatt Angst vor ihm zu haben.
In weniger als fünf Minuten erreichte er das Werk.
Billys Wagen stand auf der Straße und blockierte die Zufahrt des verwahrlosten, von Unkraut überwucherten Parkplatzes. Billy saß auf der Motorhaube und beobachtete argwöhnisch ein Dutzend Männer, die auf der anderen Seite vor einer Bar standen und abwarteten, was wohl passieren würde. Ein gelb-schwarzes Absperrband der Polizei, das um die vor sich hinrostende Karosserie eines ausgeschlachteten Honda Accord auf dem Parkplatz gespannt war, flatterte in der leichten Brise.
Wade parkte neben Billys Auto und stieg aus. Billy spielte träge an dem Loch in seinem Hemd.
»Was haben wir?«, fragte Wade.
»Eine tote Frau«, antwortete Billy. »Sie ist in dem Auto.«
Wade nickte. Billy wirkte ein wenig benommen, entweder, weil er von seinem Vorgesetzten niedergeschossen worden war, oder weil er gerade seine erste Leiche gesehen hatte. Vielleicht handelte es sich auch um eine Mischung aus beidem. In jedem Fall war es verständlich.
»Wer hat es gemeldet?«
»Die Vögel«, erwiderte Billy.
»Wie bitte?«
»Ich fuhr vorbei und sah all die kreischenden Krähen, die den Schrotthaufen umkreisten«, sagte Billy. »Ich war neugierig, woran die Vögel wohl so interessiert sind. Dann habe ich es herausgefunden.«
»Haben Sie irgendwas angefasst?«
Billy schüttelte den Kopf.
Wade zog sich ein paar Gummihandschuhe über und ging langsam zu dem Schrottauto, wobei er seinen Blick auf der Suche nach Spuren über den aufgerissenen Asphalt und die Unkrautbüschel gleiten ließ. Überall lagen Kronkorken herum, zerbrochenes Glas und Fast-Food–Verpackungen, aber er bezweifelte, dass irgendetwas davon zu dem Mörder gehörte. Die Krähen hockten rund sieben Meter entfernt auf dem Zaun und beäugten ihn misstrauisch. Der Honda war schon vor Jahren von menschlichen Aasgeiern ausgeschlachtet worden, die nur den Metallrahmen übrig gelassen hatten, der nun vor sich hinrottete und offenbar jedem Menschen und sämtlichen vierbeinigen Tieren, die vorbeikamen, als Toilette diente.
Eine junge Frau um die zwanzig lag auf den Sprungfedern des ehemaligen Rücksitzes, ihre nackten Füße ragten aus der offenen Tür. Wade entdeckte weder ein Portemonnaie noch eine Brieftasche, ein Handy oder ihre Schuhe.
Über einem T-Shirt mit V-Ausschnitt, das ihren Bauch nicht ganz bedeckte, trug sie eine kurze Strickjacke mit halben Ärmeln und dazu Minishorts aus Jeansstoff, die nicht viel größer waren als ihre Unterhose. Ihre Füße waren weich und sauber, genau wie ihre Hände. Die Nägel an Händen und Füßen waren manikürt und lackiert.
All das zeigte Wade, dass sie nicht von der Straße kam. Sie hatte ein Zuhause und wahrscheinlich auch einen Job.
Ihre Haut war so blass, als sei sie völlig ausgeblutet, doch Wade konnte keine großen Wunden erkennen, die für einen derartigen Blutverlust verantwortlich waren. Ihr Haar war mit getrocknetem Blut aus einer Kopfwunde direkt über ihrer Stirn verklebt, und ein paar Spritzer befanden sich auf ihrer Kleidung, aber das war alles. Es gab keine großen Blutflecken an ihr oder irgendwo im Wagen.
Ihr linkes Bein war dick, blau angelaufen und in einem seltsamen Winkel abgeknickt, als besäße sie ein zusätzliches Gelenk zwischen Knie und Hüfte. Das Fleisch ihres Oberschenkels war fastschwarz und geschwollen. Ihre Arme, Beine und ihr Gesicht waren von kleinen Löchern übersät, die von den Krähen stammten.
Sie war keine Frau mehr. Sie war nur noch ein Kadaver.
Aus Erfahrung wusste Wade, wohin all das Blut verschwunden und woran sie wahrscheinlich gestorben war. Doch das half ihm auch nicht viel, was aber okay war. Er brauchte diesen Fall nicht zu lösen.
Er hörte die Sirene eines Krankenwagens und ging ihm entgegen.
»Warum haben Sie den gerufen?«, wollte Billy wissen. »Die können auch nichts mehr für sie tun.«
»Solange kein medizinisches Personal sie für tot erklärt hat, ist sie es auch nicht, selbst wenn ihr Kopf auf der anderen Straßenseite liegt.«
»Was, glauben Sie, ist mit ihr passiert?«
»Jemand hat sie hier entsorgt, nachdem sie angefahren oder verprügelt wurde oder schwer gestürzt ist«, sagte Wade. »Was immer es auch war, sie ist an inneren Blutungen gestorben.«
»Woher wollen Sie wissen, dass es innere Blutungen waren?«, fragte Billy. »Besitzen Sie einen Röntgenblick?«
»Haben Sie ihr
Weitere Kostenlose Bücher