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Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Titel: Kinsey Millhone 02- In aller Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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ruht sich gerade aus. Kommen Sie doch ein anderes Mal wieder.« Sie wollte die Tür schließen.
    »Es dauert nur eine Minute.« Schnell steckte ich die Kladde in den Spalt. So würde sie die Tür niemals schließen können.
    Sie hielt inne. »Der Doktor gibt ihm immer noch Beruhigungsmittel.« Ein falscher Schluß, aber ihr Standpunkt war klar.
    »Verstehe. Nun, ich will ihn natürlich nicht stören, aber ich würde ihn wirklich gern mal sprechen, zumal ich den weiten Weg hier heraus gemacht habe.« Ich versuchte, gewinnend zu klingen, versagte aber sichtlich.
    Sie schaute mich standhaft an, und ich sah, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie blickte zur Seite, als wollte sie einen unsichtbaren Begleiter befragen. Plötzlich trat sie zurück und ließ mich ein, machte dabei aber den Eindruck, als würde sie im Stillen fluchen. Sie hatte feine, graue, schulterlange Haare, die zu einem strengen Pagenschnitt frisiert waren. Die Ponyfransen entlang der Stirn waren in einem Stil geschnitten, den ich seit den June-Allyson-Filmen nicht mehr gesehen habe, die, in denen sie so sehr liebte und so sehr litt. Mrs. Howe trug eine einfache weiße Bluse und einen adretten anthrazitgrauen Wollrock. Sie hatte eine stämmige Taille. Woher kommt es eigentlich, daß Frauen mittleren Alters immer aussehen, als wären sie schwanger?
    »Ich werde sehen, ob er mit Ihnen sprechen kann«, meinte sie und verließ den Raum.
    Ich wartete direkt an der Eingangstür und bemerkte mit einem schnellen Blick in die Runde den geknüpften Teppich, den gemauerten, weißgestrichenen, offenen Kamin, ein Ölgemälde darüber mit Wellen, die auf Felsen krachten. Sie hatte das Gemälde offensichtlich als Mittelpunkt ihres Dekorationsschemas benutzt, denn die Couch und die Ohrensessel waren in dem gleichen leidenschaftlichen Türkiston gepolstert, in einem Stoff, der leicht feucht wirkte. Ich haßte diesen Teil meiner Arbeit — mich hartnäckig in die Sorgen und Nöte anderer Menschen einzumischen und ihre Privatsphäre zu verletzen. Ich kam mir vor wie ein Vertreter an der Tür, der den Leuten unerwünschte Serien eines Naturlexikons, komplett mit imitiertem Walnußschuber, aufdrängt. Außerdem haßte ich mich unterschwellig für meine Vorurteile. Was wußte ich schon von Frisuren? Was wußte ich über Wellen, die auf Felsen krachen? Vielleicht sagte das Türkis ja genau, was sie über diesen Raum sagen wollte.
    Als Leonard Grice erschien, fühlte ich meinen Mut sinken. Er sah nicht aus wie ein Mann, der seine Frau umgebracht hat, so sehr mir diese Theorie gefiel. Er war vielleicht Anfang Fünfzig, bewegte sich aber wie ein alter Mann. Er sah nicht schlecht aus, doch sein Gesicht war bleich und die Wangen eingefallen, als hätte er kürzlich viel Gewicht verloren. Sein Blick war leer, und er hielt die Hände beim Gehen vor sich, als ginge er mit verbundenen Augen. Er machte ganz den Eindruck eines Mannes, der im Dunkeln schwer über etwas gestolpert war und sichergehen wollte, daß ihm das nicht noch mal passiert. Natürlich war es möglich, daß er sie ermordet hatte und nun von Schuldgefühlen und Reue geplagt wurde, aber die Mörder, denen ich in meiner kurzen Karriere begegnet bin, waren immer entweder heiter oder nüchtern, als könnten sie nicht verstehen, warum so ein Theater darum gemacht wurde.
    Die Hand an seinem Ellbogen, ging Leonards Schwester neben ihm her und achtete darauf, wo er seine Füße hinsetzte. Sie half ihm zu einem Stuhl und warf mir einen Blick zu, der klar ihre Hoffnung ausdrückte, daß ich über die Scherereien, die ich verursacht hatte, zufrieden sein könnte. Zugegebenermaßen fühlte ich mich tatsächlich mies.
    Er setzte sich. Scheinbar kam er jetzt zu sich. Er langte automatisch nach einer Schachtel Camel in seiner Hemdtasche, während Mrs. Howe sich auf dem Rand der Couch niederließ.
    »Entschuldigen Sie, daß ich Sie stören muß«, begann ich, »aber ich habe eben mit dem Sachbearbeiter der California Fidelity gesprochen, und da gibt es ein paar Einzelheiten, die wir noch klären möchten. Haben Sie etwas dagegen, mir einige Fragen zu beantworten?«
    »Er kann es sich kaum leisten, nicht mit der Versicherungsgesellschaft zusammenzuarbeiten«, unterbrach sie verdrießlich.
    Leonard räusperte sich und strich zweimal ohne Erfolg ein Streichholz an der Reibfläche eines Streichholzheftchens entlang. Seine Hände zitterten, und ich bezweifelte, daß er es schaffen würde, die Flamme an das Ende seiner Zigarette zu

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