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Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung

Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung

Titel: Kinsey Millhone 08 - Sie kannte ihn fluechtig - F wie Faelschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Sweatshirt vom Rücksitz meines Wagens und zog es über mein T-Shirt, um den lädierten Arm, der sich bereits schillernd zu verfärben begann, zu verdecken. Ich blieb einen Augenblick sitzen, lehnte den Kopf gegen die Polster des Fahrersitzes und versuchte mich zu sammeln. Ich war erledigt. Es war erst vier Uhr, und ich fühlte mich, als habe der Tag eine halbe Ewigkeit gedauert. So vieles beunruhigte mich: zum Beispiel Tap mit seiner Schrotladung aus Salzkristallen und die verschwundenen zweiundvierzigtausend Dollar. Irgendjemand zog im Hintergrund die Fäden wie ein Schatten im Nebel. Ich hatte flüchtig ein paar Blicke erhascht, jedoch bisher keine Möglichkeit gefunden, das Gesicht zu erkennen. Ich gab mir einen Ruck, ließ den Motor an und fuhr erneut in Richtung San Luis davon, um endlich mit Royce zu sprechen.
    Ich fand die Klinik ganz in der Nähe der Highschool in der Johnson Street in einem klotzigen Allerweltsgebäude. Ein Architekturpreis war damit nicht zu gewinnen.
    Royce lag in der Chirurgie. Die Gummisohlen meiner Schuhe quietschten auf dem hochpolierten Linoleumfußboden. Ich ging am Stationszimmer vorbei und zählte die Zimmernummern ab. Niemand beachtete mich. Wenn ich an einer geöffneten Zimmertür vorbeikam, blickte ich weg. Die Kranken, Verletzten und Sterbenden haben hier sowieso keine Privatsphäre. Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, dass die meisten von einer Blumenflut umgeben in ihren Betten lagen und auf einen laufenden Fernsehapparat starrten. Ich roch grüne Bohnen. Krankenhäuser riechen für mich immer wie Gemüse aus der Büchse. Vor der Tür zu Royces Zimmer blieb ich stehen, um mich einen Moment zu sammeln. Dann trat ich ein. Royce schlief. Er sah aus wie ein Gefangener in dem Bett mit den hochgeklappten Seitengittern und Infusionsschläuchen. Man hatte ihm eine Sauerstoffmaske angelegt. Das einzige Geräusch im Raum war sein pfeifender Atem im Schnarchrhythmus. Das Gebiss hatte man ihm vorsichtshalber herausgenommen. Ich stand neben seinem Bett und sah auf ihn herab.
    Er schwitzte. Das weiße Haar hing ihm feucht und strähnig in die Stirn. Seine großen Hände lagen, mit den Innenflächen nach oben, auf der Decke, die Finger zuckten gelegentlich. Träumte er, wie ein Hund von der Jagd, von besseren Tagen? In einem Monat würde er tot sein; er, diese widerspenstige Masse Protoplasma, die von so vielen Irritationen, Träumen und unerfüllten Sehnsüchten getrieben wurde. Ich fragte mich, ob er noch erleben würde, was er sich am dringendsten wünschte: seinen Sohn Bailey wieder zu bekommen, dessen Schicksal er in meine Hände gelegt hatte.

18

    Abends um halb sechs klopfte ich an Shana Timberlakes Tür, obwohl ich nicht glaubte, dass jemand zu Hause war. Shanas verbeulter grüner Plymouth stand nicht mehr in der Auffahrt. Die Fenster des Häuschens waren dunkel, und die zugezogenen Vorhänge zeugten von Verlassenheit. Ich drehte glücklos am Türknauf in der Hoffnung, das Haus unbeobachtet untersuchen zu können — eine meiner Spezialitäten. Ich ging ums Haus herum und überprüfte die Hintertür. Shana hatte noch einen zweiten vollen Müllbeutel rausgestellt; durchs unverhängte Küchenfenster konnte ich jedoch sehen, dass sich das schmutzige Geschirr schon wieder stapelte und das Bett nicht gemacht war.
    Ich ging zurück ins Motel. Am liebsten hätte ich meinen müden Kopf auf ein Kissen gebettet und geschlafen, doch daran war jetzt noch nicht zu denken. Es gab zu tun, zu viele Fragen waren unbeantwortet geblieben. Ich betrat die Rezeption; sie war wie üblich unbesetzt, doch ich hörte Ori im Wohnzimmer telefonieren. Ich duckte mich unter der Empfangstheke durch und klopfte höflich an den Türrahmen. Ori sah auf und winkte mir, einzutreten.
    Sie nahm gerade die Zimmerreservierung einer fünfköpfigen Familie entgegen und verhandelte über die unterschiedlichen Preise von Schlafsofa, Wiege und Etagenbett. Maxine, die Putzfrau, hatte kaum Spuren ihres Wirkens hinterlassen. Soweit zu erkennen war, hatte sie offenbar vor allem einige Möbelflächen mit öliger Politur behandelt, auf der sich schon wieder Staub festzusetzen begann. Auf Oris Bettdecke herrschte ein Durcheinander von Briefen, Zeitungsausschnitten, alten Illustrierten und einer mysteriösen Sammlung von Gratiscoupons und Werbebeilagen, wie sie auch auf sämtlichen Tischen herumlagen. Der Papierkorb neben dem Bett drohte überzuquellen. Ori sortierte lässig aus, während sie telefonierte. Schließlich beendete sie

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