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Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht

Titel: Kinsey Millhone 14 - Kopf in der Schlinge - N wie Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Kehle durchtrennen. Die Zeit stand auf eine beinahe erlösende Art still. Ich bin kein großer Fan von Folter. Mir war schon immer klar, dass ich in einer schweren Zwangslage - vor der Wahl, sagen wir mal, einen glühenden Schürhaken ins Auge zu bekommen oder einen Freund zu verraten - meinen Kumpel hinhängen würde. Das ist ein weiterer Grund für mich, andere Menschen auf Distanz zu halten, da man mir offensichtlich kein Geheimnis anvertrauen kann. Unter den gegebenen Umständen hätte ich mit Sicherheit um Gnade gebeten, wenn ich zum Sprechen in der Lage gewesen wäre. Feindseligkeit beflügelt. Erst einmal freigesetzt, macht Wut süchtig, und der Rausch ist zwar bitter, aber unwiderstehlich. Mein Angreifer wich halb von mir zurück und drosch mir sein Knie in den Brustkorb, so dass ich keine Luft mehr bekam. Er packte meinen rechten Zeigefinger und knickte ihn mit einer raschen Bewegung seitlich ab, so dass er mir den Finger am - wie ich später erfuhr - Interphalangealgelenk ausrenkte. Das Geräusch klang wie das hohle Knacken einer rohen Karotte, die in zwei Teile zerbrochen wird. Ich hörte mich einen hohen, rauhen Schreckenslaut ausstoßen, als er nach dem nächsten Finger griff und den Knöchel im Gelenk zur Seite klappte. Ich merkte, dass beide Finger nun in einem unnatürlichen Winkel zum Rest meiner Hand abstanden. Mein Angreifer versetzte mir erneut einen Tritt. Dann hörte ich ihn schwer atmen, während er über mir stand und auf mich herabstarrte.
    Ich drückte mein Gesicht gegen den Teppich, atmete den Geruch feuchter, rußdurchtränkter Baumwollfasern ein und empfand absurde Dankbarkeit, als er mich nicht noch einmal trat. Eilig durchquerte er die Hütte. Ich hörte ihn hinter sich die Tür zuknallen und das gedämpfte Geräusch seiner Schritte, die immer leiser wurden. Ich lebte noch. Ich war verletzt. Höchste Zeit, aufzustehen, dachte ich. Ich rollte mich auf den Rücken und umfaßte meinen rechten Arm. Ich merkte, wie meine Hände bebten und ich unwillkürlich leise stöhnte. Der Schweiß war mir ausgebrochen, und durch meinen Körper strömte so viel Hitze, dass ich fürchtete, mich übergeben zu müssen. Im gleichen Augenblick begann ich zu zittern. Ein vom Streß erzeugter Teil meiner selbst hatte sich von meinem restlichen Ich getrennt und schwebte in der Luft, so dass er die Situation kommentieren konnte, ohne meinen Schmerz und meine Erniedrigung teilen zu müssen.
    Du mu ßt dir unbedingt Hilfe holen, riet er mir. Die Verletzungen bringen dich nicht um, aber der Schock womöglich doch. Erinnerst du dich an die Symptome? Puls und Atmung werden schneller. Der Blutdruck fällt. Schwäche, Lethargie und ein bißchen kalter Schweiß? Sagt dir das irgendwas?
    Ich rang um Luft und meinen klaren Verstand, während mein Blickfeld heller und enger wurde. Ich war schon lange nicht mehr verletzt worden und hatte fast vergessen, was für ein Gefühl es war, vom Schmerz übermannt zu werden. Ich wußte, dass der Kerl mich auch hätte umbringen können, also hätte ich eigentlich froh sein sollen, dass dies das Schlimmste war, was er mir zugefügt hatte. Er mußte innerlich frohlockt haben. Ich war niedergerungen worden, und meine Versuche, mich selbst zu verteidigen, wirkten im nachhinein erbärmlich.
    Ich hielt mir die Hand schützend vor die Brust, drehte mich zur Seite und kam langsam auf die Knie. Unbeholfen auf den linken Ellbogen gestützt, stemmte ich mich in die Höhe und richtete mich mühsam auf. Ich wimmerte wie ein Kätzchen. Tränen brannten mir in den Augen. Es war erniedrigend, dass ich mich so leicht hatte überwältigen lassen. Ich war ein Nichts, ein Wurm, den er mit einem Schritt hätte zertreten können. Meine Großspurigkeit hatte mich verlassen und gehörte jetzt ihm. Ich malte mir aus, wie er grinste, ja sogar laut lachte, während er die Landstraße entlangraste. Euphorisch würde er die Faust durch die Luft schwenken und meine Unterwerfung in den nächsten Tagen auf ganz ähnliche Weise wie ich noch einmal durchleben. Ich schaltete das Deckenlicht ein und sah auf meine Hand herab. Zeige- und Mittelfinger standen im Dreißig-Grad-Winkel ab. Ich spürte im Grunde nicht viel, doch der Anblick drehte mir fast den Magen um. Neben dem Bett entdeckte ich meine Tasche. Ich nahm sie, griff nach meiner Jacke und legte sie mir wie einen Schal um die Schultern. Seltsamerweise war die Hütte gar nicht so durcheinander. Das Bügeleisen war in die andere Zimmerecke geschleudert worden, der

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