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Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache

Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache

Titel: Kinsey Millhone 18 - Ausgespielt - R wie Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Jogginganzug, weil ich laufen gehen wollte. Zuerst widmete ich mich meinem gewohnten Ritual im Badezimmer – Zähne putzen, ein bisschen Wasser ins Gesicht spritzen und den Zustand meiner Haare beklagen, die in alle Richtungen abstanden. Ich band mir den Hausschlüssel in die Schnürsenkel, schloss von außen ab und ging in schnellem Schritt auf den Fahrradweg zu, der am Strand entlang verläuft.
    Langsam begann ich mein Lauftempo zu steigern, obwohl meine Muskeln protestierten. Meine Füße fühlten sich bleiern an, als hätte mir jemand Fünf-Kilo-Gewichte an die Schuhsohlen montiert. Die Sonne war bereits aufgegangen, und ausnahmsweise war einmal kein Nebel in Sicht. Der Tag versprach schön zu werden, sonnig und klar. Über das Rauschen der Brandung hinweg hörte ich einen Seelöwen bellen, vermutlich ein in Ehren ergrauter alter Knabe, der sich einen Platz auf einer Markierungsboje gesichert hatte. In der Hoffnung, meine Trübsal abschütteln zu können, erhöhte ich das Tempo und richtete den Blick auf das Häuschen mit den Umkleidekabinen, wo ich immer umkehrte. Als ich den Rückweg antrat, war mir zwar nicht gerade leicht ums Herz, aber ich fühlte mich nicht mehr ganz so tot.
    Ich beendete meine Joggingrunde und ging die letzten zwei Blocks langsamer, um mich abzukühlen. Zu Hause angelangt, sah ich Matties Auto in Henrys Einfahrt stehen. Oh, prima. Ich betrat meine Wohnung, duschte, zog mich an und aß eine Schüssel Frühstücksflocken. Als ich mich auf den Weg ins Büro machte, wehte der verlockende Duft von Eiern mit Speck durch den Garten. Henrys Küchentür stand offen, und durch die Fliegentür hörte ich Lachen und Geplauder. Ich lächelte und stellte mir vor, wie die beiden zusammen beim Frühstück saßen. Undenkbar, dass sie die Nacht mit ihm verbracht hatte. Henry besitzt viel zu viel Anstand, um ihren Ruf zu kompromittieren, aber ein frühmorgendliches Stelldichein war durchaus im Rahmen der guten Sitten.
    Ich durchquerte den Garten und klopfte an den Türrahmen. Henry antwortete und forderte mich auf hereinzukommen, obwohl sein Ton nicht ganz so fröhlich war, wie ich gehofft hatte. Drinnen wurde mir sofort klar, warum. Henry war wieder zu seiner gewohnten Kluft zurückgekehrt: Flipflops, weißes T-Shirt und braune Shorts. Die Küche wies sämtliche Kennzeichen einer gerade beendeten Mahlzeit auf – schmutzige Pfannen und Schüsseln und eine Batterie Gewürze neben dem Herd. Teller und Besteck stapelten sich in der Spüle, und die Arbeitsfläche war übersät mit Toastkrumen. Henry stand an der Spüle und ließ Wasser für eine frische Kanne Kaffee einlaufen, während Mattie am Küchentisch saß, mit William und Lewis ins Gespräch vertieft.
    Schlagartig begriff ich die Abläufe und zuckte innerlich zusammen. Das war Williams Werk. Er hatte sich ziemlich über Henrys Haltung in Bezug auf Mattie geärgert. Lewis dagegen hatte keinerlei Skrupel. Ich wusste zwar, dass William mit Lewis am Telefon über die Geschichte gesprochen hatte, hatte mir aber nicht viel dabei gedacht. Jetzt sah ich vor mir, wie er Lewis an den Ort der Handlung bugsiert und erwartet hatte, dass dadurch Henrys Konkurrenzgeist erwachen würde. Doch stattdessen reagierte Henry wie ein Schuljunge und saß angesichts seines großspurigen Bruders in sich gekehrt und verunsichert da. Vielleicht war es William ja egal, welcher von seinen Brüdern sich Mattie schnappte, Hauptsache, es tat überhaupt einer.
    Soweit ich die Familiengeschichte kannte, hatte Lewis, der zwei Jahre älter war als Henry, sich in Herzensangelegenheiten immer als der Überlegene betrachtet. Weder Henry noch Lewis hatten je geheiratet, doch obwohl ich sie nie zu dem Thema ausgefragt hatte, gab es einen Hinweis, an den ich mich erinnerte. 1926 hatte Henry Lewis die Freundin ausgespannt. Henry behauptete, Lewis hätte sich von der Kränkung nie ganz erholt. Und nun startete Lewis allem Anschein nach eine Vergeltungskampagne. Er hatte sich ausgesprochen schick angezogen – gestärktes weißes Hemd, Weste, Anzug, Sakko, polierte Schuhe und akkurat gebügelte Hose. Genau wie seine zwei jüngeren Brüder hatte Lewis noch volles Haar und die meisten seiner Zähne. Ich sah ihn, wie Mattie ihn sehen musste: attraktiv, aufmerksam und ohne Henrys Zurückhaltung. Die beiden Brüder hatten sie gemeinsam auf einer KaribikKreuzfahrt kennen gelernt, und Lewis hatte ihr unermüdlich den Hof gemacht. Er hatte sich zu Matties Aquarellkurs angemeldet, und obwohl seine Versuche

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